Wenn Zusammenreißen keine Option mehr ist

Ein gesundes neues Jahr, euch allen! Ja, es ist schon die zweite Februarhälfte, aber erstens haben wir uns seither noch nicht gelesen, zweitens kommt dieser Wunsch aus eigener Erfahrung heraus von Herzen und drittens ist mein Zeitgefühl sowieso im Eimer.

Der Grund: Die ersten sechs Wochen dieses Jahres habe ich in einer psychosomatischen Reha verbracht, nachdem ich mich das ganze vergangene Jahr mit etwas rumgeschlagen habe, was ich schließlich zähneknirschend als mittelschwere Depression akzeptieren musste. Es fällt mir nach wie vor nicht leicht, darüber zu schreiben, und ich werde erst am Ende des Textes wissen, ob ich ihn tatsächlich so veröffentlichen möchte. Depressionen sollten längst kein Tabu-Thema mehr sein – das wurde schon 2009 nach dem Tod des Torhüters Robert Enke gefordert und seither in schöner Regelmäßigkeit in verschiedenen Medien: Apotheken-Umschau 2016, WDR 2017 und Handelsblatt 2018 . Letzterer Text, der jüngste, hallt besonders stark in mir wider: „Ich bin 39 Jahre alt und lebe das Leben, das ich mir gewünscht habe.“ Ich bin zwei Jahre jünger, aber der Rest stimmt.

Depressive Episoden sind nicht neu für mich, aber bislang hatten sie in meinem Leben immer einen konkreten Auslöser: Ich komme voller Elan und mit guter Diplomnote von der Uni und bemühe mich zwei Jahre lang vergeblich um einen festen Job. Ich habe endlich Fuß gefasst in dem Beruf, den ich ausüben wollte, seit ich 14 war, und muss feststellen, dass er mich völlig zerreibt. Zumindest sind das die Episoden, die mir bewusst wurden und bei denen ich mir professionelle Hilfe gesucht habe – zum Glück, nachdem ich eine Berufsunfähigkeitsversicherung abgeschlossen hatte. Als ich jedoch weiter zurückdachte und mit meiner Mutter sprach, stellten wir fest, dass meine Geschichte mit psychosomatischen Krankheiten schon viel älter ist. Schon ab der dritten Klasse bekam ich nach einem Lehrerwechsel Sehstörungen und kippte beim Klarinettenunterricht mit Kreislaufproblemen um, weil es mir nicht gelang, das wie wild geübte Stück fehlerfrei vorzuspielen. Rückenprobleme, Magen-Darm, Kopfschmerzen, Schlafstörungen, Hautausschläge … Jedes Jahr suchte sich mein Körper eine andere Art aus, auszudrücken, dass er sich gestresst fühlte. Selbst wenn Ärzte es erkannten und ich versuchte, gegenzuwirken, machte ich doch schnell immer wieder die gleichen Fehler.

Dann kam das Jahr 2018. Das perfekte Jahr. Meine Selbständigkeit lief super, ich hielt als Lektorin Vorträge auf der Leipziger Buchmesse, mein zweiter Roman erschien, zwei weitere Deadlines waren in der Pipeline, mit meinem Freund machte ich erste Pläne zum Zusammenziehen. Aber ich kam nie so richtig auf die Beine, kämpfte gegen Erkältungen und unerklärliche Erschöpfungszustände, ernährte mich von Kopfschmerztabletten, weinte ständig und im Dezember stellte mein Gehirn die Zusammenarbeit so komplett ein, dass ich beim Abtippen eines Kapitels meines Krimis meine eigene Handschrift nicht mehr lesen konnte.

An diesem Punkt bin ich wieder geneigt, diesen ganzen Beitrag in den Papierkorb zu verschieben. Warum?

Erstens, weil es nicht zu dem Bild passt, das ich von mir habe als unabhängige, starke, hart arbeitende Frau. Immer präsent, stolz auf meine schnelle Auffassungsgabe und meine Sorgfalt, in einem Beruf, der Perfektionismus honoriert. Ich vergleiche mich mit Kolleg*innen, Freund*innen und Bekannten (großer Fehler, btw) und halte mir vor, wie viel mehr die doch arbeiten, wie viel engagierter sie sind, nebenbei noch Ehrenamt und politisches Engagement etc. jonglieren … Diese Denkweise habe ich nicht hinter mir gelassen, als ich das Hamsterrad des Journalismus aufgab, obwohl ich dachte, dazugelernt und eine ganz gute Work-Life-Balance gefunden zu haben.

Zweitens ist da die konkrete, nackte Existenzangst: Werden Kund*innen und Verlage noch mit mir zusammenarbeiten wollen, wenn sie das erfahren? Werden sie befürchten, ich sei unzuverlässig oder unkonzentriert und nicht belastbar mit Deadlines, ob es nun ums Schreiben oder Lektorieren geht? Dabei ist es genau anders herum: Wenn ich die Warnzeichen ignoriere und einfach weiterarbeite, mich immer härter pushe, dann entstehen erst Fehler.

Drittens und nicht zuletzt: der Frust. Was, zum Teufel, willst du jetzt noch von mir, Körper? Ich habe mein ganzes Leben zum Besseren gewendet, den idealen Beruf gefunden, die Selbständigkeit gewählt, um mir meinen Tag selbst einteilen zu können, habe Menschen, die mich lieben und unterstützen. Was soll der Scheiß? Warum jetzt Depressionen, ausgerechnet jetzt? Schau dir die Leute in deiner Umgebung an, denen es so viel schlechter geht mit ihren gesundheitlichen, familiären und beruflichen Problemen, schau dir die syrischen Familien an, die du vor einem Jahr interviewt hast und die einfach alles verloren haben. Und du weißes Mittelstandsschicht-Erste-Welt-Kind willst hier ernsthaft rumjammern? Wie lebensunfähig kann man denn bitte sein?

Das war vielleicht die härteste Erkenntnis und das größte Hindernis, das zwischen mir und  einer Besserung stand: Mir überhaupt zu erlauben, dass ich Probleme haben, dass ich mich schlecht fühlen darf, scheinbar grundlos. Dass Depressionen keinen äußeren Auslöser brauchen und dass das eine chronische Krankheit ist, die mich wahrscheinlich für den Rest meines Lebens begleiten wird. Dass ich nicht mehr so belastbar bin – oder es nie war – wie die Helden meines Alltags. Seit meiner Bandscheiben-OP erwarte ich ja auch nicht mehr von mir, zwei Kästen Wasser auf einmal in den vierten Stock zu schleppen. Diesen klugen Umgang mit meinem Körper muss ich jetzt lernen, auf mein Gehirn zu übertragen. Erwartungen und Vergleiche sind die Wurzeln allen Übels.

Tatsächlich ist es nämlich so, dass ich die einzige bin, die diese hohen Erwartungen an mich hat. Alle Menschen, die ich Ende letzten Jahres mit Herzklopfen einweihen musste, weil einfach gar nichts mehr ging, weil ich Aufträge abbrechen und Deadlines verschieben musste – haben mit großem Verständnis reagiert. Ich lese viele Tweets von Menschen mit Depressionen (#notjustsad), die aus ihrer Umgebung solche Sätze hören wie: Reiß dich zusammen, geh halt mal raus, so schlimm kann es nicht sein, du bildest dir das ein, aber gestern habe ich dich doch lachen sehen … Mir hat niemand solch einen Unsinn ins Gesicht gesagt. Der einzige, der mir solche Sätze reinwürgt, bin ich selbst. Meine Agentin stellte sich voll hinter mich, der Verlag räumte mir eine weitere Frist ein und wünschte gute Besserung, die Lektoratskollegin sprang kurzfristig ein, die Kundin tröstete mich und versprach, mit dem nächsten Manuskript sofort wieder zu mir zu kommen. Das war eine gute Erfahrung und wird wohl der Grund sein, warum ich diesen Blogbeitrag doch veröffentliche. Weil es Teil meines Lernprozesses ist, mich so anzunehmen, wie ich bin. Und weil es mir fast unmöglich scheint, über etwas zu schweigen, das gerade so wichtig ist in meinem Leben. Dieser Blog ist nicht zuletzt dazu da, dass ihr, meine Leser*innen, mich besser kennenlernen könnt. Dass ich einen kleinen Einblick gebe hinter die Kulissen. Mein Lächeln, meine freundliche Art sind nicht nur Fassade, ich meine das alles so, wie ich es sage. Aber gelegentlich verstecke ich dahinter düstere Momente, und das kostet manchmal mehr Kraft, als ich habe.

Die Reha war nicht angenehm, so schön die Fotos auch sind, die ich hier von Waren und vor allem der tollen Natur mit anfüge. Vor allem nicht in den ersten drei Wochen, in denen einfach alles zusammenbrach und ich mich gar nicht mehr verstand. Aber dann war die Talsohle erreicht und ich konnte damit beginnen, mich neu aufzubauen. Ich bin energiegeladen und voller Optimismus zurückgekommen, mit vielen Ideen und Bewältigungsstrategien, um solchen Episoden künftig vorzubeugen, Warnzeichen schneller zu erkennen und gegenzusteuern. Wahrscheinlich werde ich gar nicht mal weniger schaffen als zu der Zeit, in der ich mich bis zur Erschöpfung vorangetrieben habe. Weil mit mehr Lockerheit und weniger Druck die Kreativität ohnehin besser fließt, ohne sinnloses Gedankenkreisen das Gehirn klarer und effizienter arbeitet und ich hoffentlich nicht mehr ständig vom Körper verordnete Zwangspausen machen muss. So stelle ich mir das zumindest vor, aber mit Erwartungen ist das ja so ne Sache, nicht wahr? Jedenfalls freue ich mich jetzt auf dieses Jahr, darauf, meine Geschichten weiterzuschreiben und viele tolle von meinen Kunden zu lesen. Und auch auf die konkreter werdenden Umzugspläne. Aber das ist ein Thema für einen anderen Tag.

7 Kommentare zu „Wenn Zusammenreißen keine Option mehr ist“

  1. Liebe Andrea,
    ich danke dir für diesen Beitrag und finde es unfassbar tapfer, dass du öffentlich von deinen Problemen erzählst.
    Doch ich bin mir sicher, dass du damit vielen Menschen helfen wirst, die in einer ähnlichen Situation stecken, die glauben, keine Probleme haben zu dürfen, die sich nicht erklären können, warum es ihnen gerade schlecht geht.
    Du machst uns allen Mut, dass es auch wieder bergauf gehen kann, dass es nicht ausweglos ist, wenn man sich mal nicht so gut fühlt, dass es okay ist, anders zu sein, nicht so belastbar zu sein wie andere.
    Ich freue mich, dass du so positive Rückmeldungen von deinen Kollegen etc. bekommen hast und drücke die Daumen, dass das auch so bleibt.
    Ich wünsche dir alles Gute für deinen weiteren Weg, viel Kraft und viel Glauben an dich selbst und noch viele tolle Momente <3
    Liebe Grüße
    Carolin

    1. Liebe Carolin,
      danke für die lieben Worte. Ja, nachdem ich wirklich Angst hatte und mir die Hände gezittert haben beim Veröffentlichen, sind die Rückmeldungen großartig. Auch privat schreiben mich Menschen an, die sich ermutigt fühlen und nicht mehr ganz so allein. Ich wollte mir das hauptsächlich mal von der Seele schreiben und hab kaum zu hoffen gewagt, dass ich anderen damit so helfen kann. Es ist wunderbar.
      LG
      Andrea

  2. Du schreibst mir aus der Seele. Auch ich versuche mit meiner Erschöpfungsdepression offen umzugehen. Meistens begegne auch ich viel Verständniss, aber manchmal eben auch lieb gemeinten, leider unnützen oder verletzenden Ratschlägen.

    1. Ja, das ist klar. Wer selbst nicht drinsteckt, kann es nicht immer nachvollziehen, so sehr er/sie sich auch bemühen. Mein Freund nimmt es aber auch nicht übel, wenn ich ihn dann unterbreche mit: „Nein, bitte, rede jetzt nicht weiter.“ 🙂

  3. Hej,
    vielen Dank für deine Worte. Ich habe auch lange mit meinen Depressionen gekämpft, und gerade diese Gedanken, dass andere viel mehr schaffen, obwohl sie doch viel mehr um die Ohren haben als ich, die machen einen mehr fertig, als man glauben will. Seit einem Jahr merke ich es ziemlich früh, wenn mich wieder eine Tiefphase angrinst. Meistens schaffe ich es rauszukommen, ohne dass es mehr als ein „schlechter Tag“ wird. Und es hilft, wenn man den Kindern oder dem Liebsten sagen kann, dass man mal ein bisschen Ruhe braucht. Ich bin sehr froh um meine Familie, die das akzeptieren kann.
    Ich wünsch dir viel Kraft und Energie. Es kann besser werden. 🙂

    1. Das ist gut, dass du so liebe und verständnisvolle Menschen um dich hast. Danke, dass du deine Geschichte teilst 🙂

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