Endlich kommt die bislang schweigende Masse aus dem Sessel hoch, statt Pegida und Konsorten die Straße zu überlassen! In ganz Deutschland gibt es Demonstrationen und Mahnwachen von Menschen, die zeigen wollen, dass wir kein Land von engstirnigen Spießern sind, die aus dumpfen Ängsten heraus einen Sündenbock und einfache Lösungen suchen, die nur in den Köpfen rechter Spinner existieren. Ich habe zwar keine Umfrage unter Pegida-Anhängern gemacht, um meine Theorie zu bestätigen, aber die Untersuchung, die die TU Dresden durchführte und die so viel Aufmerksamkeit erregte – „Pegida-Anhänger sind gebildet und verdienen gut“ -, ist ja auch nicht repräsentativ, wie Stefan Niggemeier sehr schön erklärt.
Auch in Schwedt gab es heute eine Gegendemonstration des Bündnisses gegen Fremdenfeindlichkeit, Gewalt und Rassismus. Wobei das eigentlich zu viel gesagt ist. In der Rosa-Luxemburg-Straße kam gerade mal ein Dutzend rechter Nasen zusammen, gerade genug, um ihre drei großen Bettlaken-Plakate festzuhalten. Vor der evangelischen Kirche dagegen tauchten zehnmal so viele Menschen zur Mahnwache auf.
Bürgermeister Jürgen Polzehl rechnete vor: 2,5 Prozent der Schwedter sind Ausländer, gut 80 Flüchtlinge aus Syrien hat man mittlerweile in Wohnungen über die Stadt verteilt untergebracht – und es sollen noch mehr werden. Von „Überfremdung“ könne gar keine Rede sein. Die Menschen auf dem Platz erinnern sich noch gut an die Aufbauzeit von Schwedt: PCK-Raffinerie, Papierfabrik, Schuhfabrik, sie alle beschäftigten Menschen aus Vietnam, aus Ungarn, aus vielen Ländern. Kaum ein Schwedter heute ist Ur-Schwedter, die meisten sind Zugezogene in einer Stadt, die von 7000 Einwohnern nach dem Krieg auf 52.000 Anfang der 80er emporwuchs. „Die Mecklenburger und Sachsen haben sich am Anfang auch nicht verstanden in den Wohnunterkünften“, erinnert sich ein Mann grinsend. Und umgekehrt, sagt die GEW-Chefin: Wie viele DDR-Bürger fanden vor 1989 Zuflucht in Westdeutschland? „Die wenigsten waren politische Flüchtlinge, sondern Wirtschaftsflüchtlinge. Was, wenn sie nicht aufgenommen worden wären?“
Die Flüchtlinge aktuell allerdings wollen nichts weiter retten als ihre Haut, sagt der SPD-Landtagsabgeordnete Mike Bischoff. „Niemand verlässt freiwillig seine Heimat.“ Durchquert die Wüste und fährt über das Mittelmeer in Booten, die dafür nicht ausgerichtet sind. Allein 2014 sind über 3000 Menschen dabei gestorben. Diesen Flüchtlingen zu helfen, gebietet allein der Anstand.
120 Menschen bei der Mahnwache – natürlich hätten es in einer Stadt mit 30.000 Einwohnern noch mehr sein können. Aber es ist ein Anfang, die Nazis mit 10:1 nach Hause zu schicken. Und es sind nicht nur die üblichen Engagierten gewesen, sondern auch einige jüngere Schwedter. Das ist wichtig. Vor allem bei der Vorgeschichte. 1996 wurde Schwedt im Spiegel groß zur braunen Stadt erklärt, ein Artikel, der sich heute noch im Netz finden lässt, auch wenn die Schwedter ihn gern vergessen würden. Ich habe mich mit ein paar Leuten vom Karthaus-Jugendclub unterhalten, die damals die Rangeleien mitbekamen. Das Karthaus galt als Sitz der linken Jugend und wurde regelrecht von Glatzen belagert – gab aber nicht klein bei.
Kurz bevor ich in die Oderstadt kam, hatte ein neuer Rassismus-Vorwurf die Runde gemacht: Der schwarze Ausländerbeauftragte Ibraimo Alberto, der als Musterbeispiel der Integration galt, war aus Schwedt „geflohen“. Eine Geschichte, die schwer zu durchschauen ist. Ich habe Menschen getroffen, die sich als gute Freunde von Herrn Alberto bezeichnen (unter anderem aus besagtem Bündnis gegen Fremdenhass) und schockiert sind von den pauschalen und heftigen Vorwürfen – sie vermuten dahinter auch Journalisten, die alles etwas zuspitzen. Nicht, dass sie von „Lügenpresse“ sprechen wollen – das ist der Terminus der Leute, die mit Pegida auf die Straße gehen.
Ich habe nicht den Eindruck, dass Schwedt besonders rassistisch ist – und zum Glück gibt es Menschen, die scharf aufpassen, um den Anfängen zu wehren. Aber wenn der Bürgermeister hinterhältige Kommentare zugetragen bekommt, weil das erste Schwedter Baby, das er im Jahr 2015 begrüßt, ein Flüchtlingskind ist, zeigt das, dass der Kampf nicht ausgestanden ist.
Ich habe mich mal mit einem jungen Mann aus Südafrika unterhalten, der einige Zeit in Schwedt verbrachte auf einem Austausch. Auch wenn er nie wirklich offenen Rassismus erfuhr (abgesehen davon, beim Stadtfest von Kindern angestarrt zu werden und zu hören, wie sie die Eltern fragen, ob das abfärbt), hatte er auch nie das Gefühl, wirklich daheim zu sein in Schwedt. Echte Freunde fand er in der Multikulti-Stadt Berlin. Das ist einfach traurig! Was können wir also tun, um Menschen zu zeigen, dass sie hier willkommen sind? Statt über Deutschtests für Ausländer zu reden, sollten wir darüber reden, was WIR tun können, um die Integration zu verbessern. Dann klappt’s auch mit dem Nachbarn.
P.S. August 2015: Mittlerweile werden die Pläne für ein Flüchtlingsheim in Schwedt konkreter. Damit brechen auch leider die latenten Vorurteile durch, die doch in vielen Menschen drinstecken. Mehr dazu unter anderem in meinem neuen Blogbeitrag: „Heim nach Afghanistan“