Leipziger Buchmesse 2023: Von Erfolg und Überforderung

Endlich! Endlich wieder Buchmesse, endlich wieder Buchmenschen treffen, Kontakte knüpfen, Verlagsstände abklappern! Lesungen, Vorträge, Aktionen, Cosplayer. Spaß, Spaß, Spaß. Und ich hatte so gar keine Lust.

Ja, tatsächlich. Es kommt mir wie ein Sakrileg vor, das zuzugeben. Ich traute mich kaum, das im Vorfeld zu besprechen, weil ich nicht wie eine Spielverderberin klingen wollte. Aber mit jedem begeisterten Social Media- Post von anderen Autor*innen sank meine Laune. Mehr noch: Ich hatte regelrecht Angst. Menschenmassen habe ich noch nie besonders gemocht, aber meist eine gute Strategie gefunden, damit umzugehen, gerade bei der letzten LBM vor der Pandemie, als ich frisch aus meiner psychosomatischen Reha kam. Die gleiche hatte ich mir für dieses Jahr vorgenommen: wenig Fachvorträge, viel Zeit für Begegnungen, Standdienst verteilt auf mehrere Tage und zwischendurch Pausen im Hof. Und vor allem Maske auf – auch wenn ich damit einer sehr kleinen Minderheit angehörte, das bin ich in Sachsen mittlerweile gewöhnt. Nach meinen zwei Monaten Coronaspaß im vergangenen Jahr war das überhaupt keine Frage für mich. Trotzdem blieb die Vorfreude gedämpft – bis ich die Halle betrat.

Zum Start am Donnerstag: meine Lieblingsperspektive auf die Eingangstreppe

Mein altes und neues Netzwerk

März 2019 hatte ich noch kein Instagram, das sollte erst im Herbst zur Veröffentlichung von Menschenwolf folgen. D. h. dies war für mich der erste Messe, seit ich auf der Plattform aktiv bin. Und meine Güte, was war das schön! Auf einmal begegnete ich so vielen Menschen, mit denen ich bislang nur online geplaudert, ein bisschen kommentiert und mich ausgetauscht hatte. Und sie erkannten mich, begrüßten mich freudig und fragten ganz selbstverständlich, ob sie mich umarmen durften – durften sie! Wenn wir auch zu oft das Fotografieren vergessen haben – ist das nicht umso schöner, weil es wirklich auf die Begegnung ankam und nicht auf das werbewirksame Selfie auf Instagram? Ebenso wie meine Lektoratskundschaft, die ich bislang hauptsächlich vom Telefon kannte. Mein Ansprechpartner vom S. Fischer Verlag gab mir und meiner lieben Textehexe-Kolleg*in Juri einen Kaffee aus. Manche kamen mich am Stand des Verbandes freier Lektorinnen und Lektoren besuchen, wo ich an drei Nachmittagen einerseits Kolleg*innen über die Verbandsarbeit aufklärte und andererseits Autor*innen Tipps gab, wie sie ein gutes Lektorat finden. Knapp die Hälfte meiner Chatadias von der Schreibnacht und meiner Textehexen waren ebenfalls dort und ein jeweiliges Abendprogramm festgelegt.

Von links nach rechts: meine Schreibnacht-Freundin Joan Darque, Fanny Remus, ein toller Mensch und Autorin von Instagram, meine Wenigkeit bei der Arbeit

Das Drumherum

Ein großes Vergnügen war ein Besuch in der Halle der Manga-Messe. Zum Glück gehören die versnobten Diskussionen, ob Cosplay überhaupt etwas auf der Buchmesse zu suchen habe, längst der Vergangenheit an. Auch wenn ich die meisten nicht erkennen, bewundere ich die Kunstfertigkeit dieser Kostüme. Auf ein Foto konnte ich tatsächlich nicht verzichten: mit einem meiner liebsten Antagoinisten aus einem Film, von dem ich gar nichts erwartet habe und der sich überraschend als der herzerwärmendste, tiefgründigste und animationstechnisch interessanteste der ganzen Franchise herausstellte: der Wolf aus „Der gestiefelte Kater – Der letzte Wunsch“. Außerdem liebe ich die Künstler*innenecke, habe mir ein schönes Ruhebild mit einer Katze bei Sonnenuntergang gekauft und ein paar Aufkleber und obendrein eine Postkarte erwürfelt.

Ich stelle mich dem Wolf nicht wirklich mutig entgegen – und einen Velociraptor zu streicheln, ist auch keine gute Idee

Sind wir keine Menschen mehr gewohnt?

Dann kam allerdings der Samstag, traditionsgemäß immer der vollste Tag auf der Buchmesse. Hinterher hat sich herausgestellt, dass die  Besucherbilanz knapp unter der aus Vor-Pandemie-Zeiten liegt, wenngleich sie auch die kühnsten Erwartungen der Veranstaltenden übertroffen hat. aber alle, mit denen ich gesprochen habe, hatten den gleichen Eindruck wie ich: So voll wie an diesem Samstag war es noch nie. Als ich eine meiner Freundinnen suchte, die an einem Stand in einer Signier-Schlange anstand, wand sich diese Reihe einmal komplett um das Karree. Nach zweieinhalb Tagen Präsent-Sein und drei Standdiensten hatte ich auf einmal das Gefühl, von jetzt auf gleich vollkommen reizüberflutet zu sein, und flüchtete spontan nach draußen und in die Stadt zum Clara Zetkin-Park.

Wo ist Walter? Live-Wimmelbuch am Samstag

Es hat eine Weile gedauert, bis ich mich nicht mehr über mich selbst geärgert habe, mir nicht mehr wie eine Versagerin vorkam, weil ich das Handtuch geschmissen hatte. was auch geholfen hat: es ging offenbar nicht nur mir so bei aller Freude über das Wiedersehen habe ich von verschiedensten Menschen gehört, die ebenfalls von dem Gefühl verwirrt und überfordert waren. Ich weiß nicht, ob wir über Lockdown und Co. Großveranstaltungen verlernt haben, oder ob wir nun einfach merken, was uns schon immer gestört hat. Mehr Ruhezonen, mehr Sitzplätze, mehr Geduld mit uns selbst, die Einsicht, dass wir nicht das volle Programm durchziehen müssen … ich denke, das könnten wir alle gebrauchen. Ich habe jedenfalls den Sonntag zum Ausruhen genutzt, statt noch einmal in die Hallen zurückzukehren, und  mein Körper hat  es mir gedankt. wenn das nun meine neuen Grenzen sind, dann ist das halt so. Ich habe trotzdem viel geschafft und kann stolz sein. Und ihr hoffentlich auch!

Statue im Zetkin-Park, wie sie passender kaum hätte sein können

 

 

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