Diesmal vor der anderen Treppe: zur Feier des Vorlesewettbewerb-Jubiläums

#LBM der Begegnungen – ganz ohne Katastrophen

So, ich hoffe, dass ihr jetzt, eine Woche nach der Leipziger Buchmesse, der ganzen Rückblicke nicht bereits überdrüssig seid, denn ich hatte auch Mordsspaß und ein paar interessante Erlebnisse mit Autorinnen, Themen wie Diversität und Lektorat, die ich gern mit euch teilen möchte. Dazu muss ich sagen, dass ich die Buchmesse von meinem ersten Besuch 2015 an irgendwie anders angehe als die meisten Leute, die ich kenne. Am Wichtigsten sind mir die Begegnungen mit Menschen, geplant und ungeplant. Lesungen besuche ich meist nur die meiner Freundinnen, um sie anzufeuern, weil ich keine Lust habe, mich ins Gewühl um irgendwelche Prominenz zu stürzen. Auch diesmal hatte ich mir zwar eine kleine Liste von Fachvorträgen zusammengestellt, aber am Ende nur zwei davon gehört, weil ich auf dem Weg von einem Gespräch aufgehalten wurde oder beschloss, mich im Sinne der Selbstfürsorge lieber auszuruhen. Während vor einem Jahr die #Apokaleipzig tobte, hatte in diesem Jahr der Frühling Einzug gehalten und den Höfen zwischen den Hallen eine ganz neue Attraktivität verliehen.

Ein paar Einkäufe musste ich tätigen: ein Notizbuch aus Gras und frisch frittierte Chips (o.l.). Unterm Glasdach war es fast zu heiß, draußen dafür umso schöner – und was gibt es Tolleres als einen Wolf mit Steampunk-Brille und Schottenrock?!

Probier’s mal mit Gemütlichkeit

Das Ergebnis dieser bewährten Strategie: Am Donnerstag bekam ich beim Schlendern zwischen den Ständen von einem gestressten Verlagsmenschen ein Kompliment zu meinem entspannten Lächeln gemacht. Dabei war der Tag noch der ruhigste von allen, wenn man von den armen Schülern absieht, die von ihren bösen, bösen Lehrern gezwungen wurden, statt in den Unterricht auf die Messe zu gehen. „Aber Bücher sind so langweilig!“, tönte es da durch die Gänge, und die von ihren Dauer-Whatsappenden Kindern gereizten Lehrer waren nicht immer viel leiser: „Jetzt schreibst du deiner Mutter: ‚Mama, bin auf der Buchmesse, hab mich fortgebildet, sensationell!'“ Träum weiter, guter Mann, träum weiter. Am nächsten Tag, als die echten Bücherfans die Hallen fluteten, waren die Streitgespräche, die ich – ohne Anstrengung, wirklich – belauschen konnte, ganz andere: „Du bist Schuld, ich wollte nichts kaufen!“ – „Du hast das Buch angefasst.“ – „Ja, aber du hast mich nicht abgehalten!“

Die Stadt Halle war so nett, mir einen Kaffee zu spendieren. Das musste ich ausnutzen, solange mein neues Vampirprojekt noch nicht rausgekommen ist, das dort spielt.
Dann weiß ich nämlich noch nicht, ob sie mich noch mögen werden … Dabei mag ich die Stadt sehr, und mein Maskottchen Bela L. fühlt sich seeeeeehr wohl …

Buchmesse politisch – und das ist gut so

Avatar: eine der besten Zeichentrickserien – oder Serien überhaupt -, die ich kenne, für Kinder hin oder her

Wohl um „Tumulte“ wie im vergangenen Jahr zu vermeiden (ich schwanke bei dem Thema, halte es aber eher mit der taz: „Mit Nazis reden, bringt nichts“ – das hält den ganzen Betrieb auf, auch in Frankfurt, nur weil die Nasen eingeladen werden und sich populistisch sonnen dürfen), haben die Sicherheitskontrollen diesmal explizit auch auf Plakate und Flyer geachtet bei der Taschenkontrolle. Also, abgesehen von solch offensichtlichen Dingen wie die mittelaltermarkttauglichen Metallschwerter, mit denen ein Jon Snow plus Anhang ernsthaft glaubte, vor mir in die Hallen kommen zu können. Vergeblich – welch überraschung! Aber Team Avatar war es gelungen, ein Protestschild zum Thema Uploadfilter und Artikel 13 hineinzuschmuggeln, denn zeitgleich beteiligte sich Leipzig am Samstag an den europaweiten Demonstrationen gegen das unausgegorene und unpraktikable Gesetz, das auch in meinen Augen als Schöpferin von urheberrechtlich relevanten Werken völlig an der Sache vorbeigeht. Wer sich also für Buchmesse statt Demo entschieden hatte, wurde trotzdem auf das Thema aufmerksam gemacht.

Als ich das Foto mit #saveyourinternet bei Twitter hochlud, erlebte ich zum ersten Mal, dass ein Tweet von mir viral ging. Am Sonntagmorgen war ich völlig verblüfft von über 600 Likes, Retweets mit Kommentaren in Spanisch und Kroatisch … bis dato gefällt das 1046 Leuten, 191 haben es geteilt. Dabei hab ich nur die Kamera draufgehalten. Leider konnte ich die tolle Truppe nicht wiederfinden, um mich zu bedanken. Die Proteste waren ja, wie wir wissen, leider vergeblich, aber die Europawahlen sind nicht weit …

Auch die anderen Cosplayer – und die ein oder andere Standbetreiberin – liefen am Wochenende richtig zur Höchstform auf

Eine Weile verbrachte ich am Stand der „Gesellschaft für bedrohte Völker“, die sich jedes Jahr mit einem anderen Schwerpunktthema präsentiert. Diesmal ging es um die indigenen Völker Brasiliens, die Präsident Jair Bolsonaro, der „Trump Südamerikas“, mit Waffengewalt von ihrem eigenen Land fernhält, das ihnen 1988 zugesprochen wurde (so wenig es war), um dort Monokulturen und Rinderweiden für die Steaks und vegane Soja-Alternativen der Welt anlegen zu lassen. Richtig rührend war die Plakatwand, auf der die kleinen Besucher der Buchmesse ihre Appelle an die Brasilianische Regierung festhielten: „Geld zerstört, man kann es nicht essen.“ Ob es je einer von Bolsonaros Leuten lesen wird?

Repräsentation und Diversität

„Das Beste wäre, wenn es unsere Arbeit nicht mehr bräuchte“, sagte mir ein Mitarbeiter des Querverlags. Wir sprachen darüber, warum es eigentlich ein explizites Label für Queer-Literatur braucht und ob es nicht erstrebenswert wäre, mehr Repräsentanten der LGBTQ-Community in der Mainstream-Literatur unterzubringen. Klar – warum nicht das eine tun, ohne das andere zu unterlassen? Vor allem, wenn immer noch Manuskripte mit queeren Hauptfiguten abgelehnt werden, weil sich Verleger nicht „mit solchen Themen belasten“ wollen, oder, wenn sie etwas drucken, im Klappentext verschweigen, dass es mehr als „Freundschaft“ ist, aus Angst, dass sich das Buch nicht verkauft. Der Querverlag wurde vor 20 Jahren von einem schwulem Verleger und einer lesbischer Verlegerin gegründet, die die Community zusammenführen wollten, was mir ungemein sympathischer ist, als sich nur auf eine Seite zu konzentrieren, eifersüchtig darüber zu wachen und sich gegenseitig Beine zu stellen (*hustbafmwhust*). Immerhin: Erstmals war 2019 mit dem vom Querverlag verlegten „Helden für immer“ von Markus Jäger eine queere Liebesgeschichte für den DELIA-Literaturpreis für den besten deutschsprachigen Liebesroman nominiert, auch wenn er letztlich nicht gewann.

Dazu passte die Diskussionsrunde vom Nornennetz „Diversität ist mehr als sexuelle Orientierung und Hautfarbe“ mit Barbara Weiß, Michelle Janßen, Eleonore Laubenstein und Anne Zandt. „Diversität ist, die Buntheit der Welt in die eigenen Geschichten mit einzubringen.“ – Nur wie? Das hatte mich ja schon bei der WorldCon 2017 in Helsinki beschäftigt, und ähnlich wie die Runde dort kam diese in Leipzig zu dem Ergebnis: Hautfarbe, sexuelle Orientierung, Behinderung nicht als pures Gimmick, einen Kunstgriff verwenden, den man von der Liste abhakkt, weil man ja politisch korrekt sein will – sondern die Figuren als dreidimensionale Charaktere darstellen. Das Internet bietet viele Möglichkeiten der Recherche und vor allem, mit Betroffenen selbst ins Gespräch zu kommen, um Klischees zu vermeiden. Und dabei heißt es vor allem: „Zuhören, lernen, sich infrage stellen.“ Zum Beispiel sollte man eine Rollstuhlfahrer*in nicht nur nach dem Leid fragen, sondern was er/sie Schönes erlebt. Nicht nur, was er/sie verloren, sondern dazugewonnen hat. Nicht neu, aber man kann es nicht oft genug wiederholen, wie es aussieht.

Autorenkolleginnen

In der messeeigenen Fantasy-Buchhandlung fand ich das Werk meiner lieben Chatadia-Freundin Joan Darque wieder, das auf der Longlist des Seraph für bestes Debüt stand

Momentan lese ich leider nicht mehr so viel zum privaten Vergnügen und erst recht nicht auf Deutsch, weil es mir schwer fällt, meinen inneren Lektor auszuschalten. So ging es mir auch, als ich mich am Rande einer Leseinsel zum Ausruhen hinsetzte und anfing, automatisch im Kopf das Gehörte zu kommentieren. „‚Etwas mehr Ernst, bitte‘, fluchte er.“ – Das ist nicht wirklich ein Fluch.

Umso schöner dann, wenn ich bei Lesungen so vom Vortrag, den Figuren und Geschichten mitgerissen werde, dass mir sowas gar nicht mehr auffällt – falls es überhaupt drin ist, denn der Stil von Maja Ilisch ist ziemlich perfekt. Ich habe sie auf der FilkCon als Sängerin kennengelernt und erst später erfahren, dass sie schreibt. Jetzt hat sie ihr großes Lebensziel erreicht und den ersten Band ihrer Neraval-Sage bei Klett-Cotta Hobbit-Press veröffentlicht, hart mit einem ebenso geduldigen wie gnadenlosen Lektor gearbeitet und ist zurecht stolz und glücklich – wieder was für meinen SuB.

Die Figuren meiner Kollegin und Freundin, der Textehexe Susanne Pavlovic, sind mir natürlich längst vertraut, habe ich doch ihren preisgekrönten Feuerjäger gelesen, deshalb hatte ich beim Lauschen eines Auszugs aus „Die Herren von Nebenheim“ viel Vergnügen. Der perfekte Rausschmeißer für ein Publikum ist der Satz: „Ich bin genauso aufgeschmissen wie du, nur auf einer höheren Bewusstseinsebene.“

Die Lesungen meiner Ashera-Kolleginnen fielen leider mit meinem Standdienst beim VfLL zusammen (dazu gleich mehr), aber das hat uns nicht davon abgehalten, später mit einem Piccolöchen anzustoßen oder mit Gabriele Ketterl Schottlandanekdoten auszutauschen.

Mit meinen Textehexe-Kolleginnen, alten wie neuen, kamen wir auch zusammen, wenn auch nicht immer alle an einem Ort (Simona, ich brauch noch die Adresse von der Brennerei!) Traditionsgemäß trafen sich die Chatadias der Schreibnacht am Freitag wieder in Noel’s Ballroom, diesmal in einer großen Verschwesterung mit den Texthäkchen. So lernte ich die gestrenge und ungemein hilfreiche Testleserin meines geheimen Vampirprojekts endlich persönlich kennen, auch wenn wir fast einen kleinen Streit über die Bedeutung des Semikolon als in meinen Augen überflüssigsten Satzzeichens der Welt hatten. (Herrje, gerade wollte ich nachschauen, ob es irgendwo einen Sprachkritiker gibt, der mit mir diese Meinung teilt, dass das Ding weder Fisch noch Fleisch ist und sich die Autorin gefälligst entscheiden soll. Jetzt lerne ich, dass es ein Symbol liberaler Grundordnung, Gleichberechtigung und Selber-Denken sein soll. Ömmmmmm … noch nicht überzeugt.)

Wie sieht gutes Lektorat aus?

Wie ich, natürlich!

Da stand er, der Dichter, legte bedeutungsschwanger seinen Künstlerhut auf unseren Aufsteller, warf sich in Pose und begann, ein Gedicht zu zitieren. Ein sehr reizvolles, keine Frage, auch noch das zweite und dritte, aber als ich dann langsam mal versuchte, ihn zum Thema unseres Stands zurück zu führen – „Suchen Sie denn einen Lektor für Ihre Werke?“ -, meinte er nur: „Nein, ich bin zufrieden“, und setzte seinen Vortrag fort. Teilte die Menge wie ein Fels das Wasser und niemand kam mehr an unsere Flyer heran. Standdienst beim Verband der freien Lektorinnen und Lektoren kann also zu gleichen Teilen amüsant wie enervierend sein. Wahrscheinlich wäre es mir schwerer gefallen, diesen sehr … raumeinnahmenden Künstler höflich loszuwerden, hätte er dann nicht mit Politik angefangen und verkündet, der Klimawandel existiere nicht. Mit Widerstand meinerseits („Sie wollen diese Diskussion nicht mit mir führen, und das hier ist auch nicht der Rahmen“) hatte er wohl nicht gerechnet, nahm sofort seinen Hut und flüchtete. Das Publikum beim VfLL ist immer zweigeteilt: Autor*innen, die eine Lektor*in suchen oder Lektor*innen, die Kund*innen suchen und eine Möglichkeit, sich über den Verband bekannter zu machen. So hatte ich eigentlich immer gut zu tun während meiner Schicht.

Kollege Hans-Peter Roentgen hatte außerdem zu der Vortragsreihe „Selfpublisher und ihre LektorInnen“ geladen, und natürlich ließ ich mir Susanne Pavlovic‘ Auftritt mit Mia Leoni nicht entgehen. Da wir sehr häufig in die Situation kommen, erklären zu müssen, dass wir Geld kosten („Lesen kann doch jeder“) und auch nicht durch ein Rechtschreibprogramm ersetzt werden können (das kann nicht mal die Korrektorin, die ihr eigentlich sucht), sauge ich solche Beispiele und Argumentationen gern auf. Da geht es runter wie Öl, wenn Mia Leoni erzählt: „Ein Lektorat ist nicht gerade günstig, aber hinterher muss ich sagen: Es lohnt sich immer.“ Bei ihrem Erstling habe sie ein paar Vorschläge von Susanne nicht angenommen, und prompt kamen Anmerkungen von Leserinnen, die genau den gleichen Punkt kritisierten. „Das war mein Lernprozess: Ich sollte auf Susanne hören.“

„Die Sprache steht nicht im Vordergrund und versperrt den Blick auf die Geschichte, sondern ist das Trägermedium.“

Susanne Pavlovic

Susanne bespielte gleich alle Zielgruppen, ob Autor*innen, die wissen wollten, warum eigentlich so viel am Text gefeilt werden muss, Menschen mit Sorge um ihre knappen Geldbörsen („Sie mieten für mehrere Wochen eine hochkompetente Fachkraft. Umgedreht können Sie auch anfragen: Ich hab einen Hunni, was können Sie für mein Buch tun?“) und potentielle Kolleginnen, die wissen wollten, was eine Lektorin von einer einfachen Leserin unterscheidet („Ich brauche einen analytischen Blick auf den Text. Ich sage nicht nur ‚Das langweilt mich‘, sondern auch: warum.“). Ein Satz, den ich aus eigener Erfahrung voll und gerne unterschreiben kann: „Ich hab mit Menschen zu tun, nicht mit Texten.“

Und ich liebe es, auch wenn ich nach vier Tagen Messe erstmal drei Tage mit Erkältung im Bett liege.