Einmal komplett eingeräuchert von vier Dampfloks – gut haltbar gemacht fürs Wochenende |
Sie stellen Han Solo als US-Präsidentschaftskandidaten auf, geben Reisewarnungen an Aliens, die die Erde besuchen wollen, ehren Anna von Kleve, die vierte Frau von Heinrich VIII., und verwandeln eine Liebes- in eine Zombiegeschichte: Willkommen in der Welt des Filk! Ob historische Figuren, uralte Mythen, moderne Fantasy-Serien und natürlich der Ursprung des Filk, die Science Fiction – alles lässt sich in ein Lied verarbeiten. Wenig überraschend, ist die Szene eng mit der der Rollenspieler verknüpft. Und ich bin jetzt schon zum zweiten Mal ein verlängertes Wochenende ganz in diese Welt abgetaucht.
Bei meiner ersten FilkContinental im vergangenen Jahr kannte ich bis auf die Freundin, die mich dorthin geschleift hatte, keinen Menschen. Ich wusste nicht genau, ob ich dorthin passen würde, da ich keine Liedtexte schrieb, geschweige denn komponierte. Während ich im Foyer herumsaß und auf meine Freundin wartete, nahm mich sofort Gary unter seine Fittiche. Der Amerikaner hat ein ganzes Buch über die Geschichte des Filk geschrieben, führt es auf die frühen Scifi-Conventions der 40er Jahre zurück und sieht Vorläufer in Liedern wie „In my Merry Oldsmobile„, in dem Billy Murray 1909 die neue Errungenschaft des Autos besingt. Am ersten Abend im „Circle“, im Kreis, wünschte sich Gary prompt ein Lied von mir und zwang mich so, meine Bühnenangst sofort bei den Hörnern zu packen. Natürlich drohte mir meine Stimme zu versagen, doch nach der ersten Strophe fielen die anderen in das Lied ein und trugen mich zu neuen Höhen. Es war ein magischer Moment.
In diesem Jahr (das unter dem Motto 50 Jahre Star Trek stand) wurde ich gleich von allen Seiten mit Umarmungen begrüßt. Im Gepäck hatte ich zwei selbstgedichtete Lieder zu bekannten Melodien: „Ash in the Wind“ (aka „Dust in the Wind„) über einen Vampir, der in der Sonne Selbstmord begeht, und „The Filk-Gardener“, eine Hommage an die lieben Leute, die mir im Jahr davor so viel Mut gemacht hatten. Ausgerechnet mir als Autor und Lektor fällt es schwer, auf Deutsch Lieder zu verfassen, es kommt immer steif und „Reim mich oder ich fress dich“ rüber, deshalb flüchte ich mich in die Fremdsprache. Vielleicht, weil ich da ohnehin mehr auf den Klang höre. Ruckzuck hatte ich eine Band zusammen, die mich mit Zweitstimmen, Gitarre und Flöte beim Auftritt begleitete. Und diesmal hab ich den Moment, an dem die Stimme versagen will, alleine überwunden.
„Only for a moment I see the sun again“ |
Diese Auftritte helfen mir auch, mich für Lesungen vorzubereiten. Ansonsten kann ich immer nur in wortlosem Staunen da sitzen, wenn die anderen Eigenkompositionen vortragen, zwischen fünf Instrumenten hin und her wechseln, spontan Soli und Harmonien für Lieder entwickeln. Über achtzig wahnsinnig kreative Leute sperren sich drei Tage in einer Jugendherberge ein und machen nichts anderes als Singen, musizieren, tanzen und Seminare übers Liederschreiben hören. Nebenbei wird gemalt, gestickt, gestrickt, geschminkt und selbstgemachte Marmeladen versteigert (Birne-Schokolade, heute Morgen getestet – lecker!). Trotzdem sind sie nicht völlig der Welt entrückt. „The Faithful Sidekicks„, Ersttäter aus Minnesota, starteten in Reaktion auf den US-Wahlkampf eine Kampagne für Han Solo als Präsident – immerhin hat er die Galaxie gerettet, wer will dagegen argumentieren?
Von purer Wut getrieben war das Lied „Let them pay“ einer britischen Sängerin über die Verantwortlichen des „Brexit“, die sich nach angerichtetem Chaos verabschiedeten. Ehrengäste Barry & Sally trugen ein ergreifendes Lied vor über verstorbene Freunde, das selbst mir, die keinen davon persönlich kannte, die Tränen in die Augen trieb. Bis auf einen, der uns bei der FilkCon 2015, wohlwissend um seinen unheilbaren Krebs, „I’m not yet dead“ skandieren ließ.
Filk ist also keine Realitätsflucht, genauso wenig wie lesen oder Rollenspiel, denn es werden die essentiellen Fragen der Menschheit aufgegriffen: Liebe, Leben, Tod, Veränderung, Verzweiflung und was uns zusammenhält. „Many hearts, one voice“ – viele Herzen, eine Stimme – von Steve Macdonald beschreibt dieses wunderbare Gefühl, in der Filkergemeinschaft Gleichgesinnte zu finden, mit denen man ohne Erfolgsdruck kreativ sein kann, gemeinsam lachen und weinen.
Und versagen – denn bei dem Auftritt unserer spontan ausgelosten „Insta-Bands“ ließ ich mich zu einem Flötensolo breitschlagen – seit Klarinetten-Zeiten ein kleines Trauma von mir. Als ich es prompt vergeigte (öm… Flöte vergeigen?) und frustriert von der Bühne ging, trösteten mich Jen und Eric: „Es war wunderbar und das passiert jedem Mal. Du hast wieder reingefunden, ist doch gut.“ Abends bei der Jamsession mit Barry fing ich sogar an zu improvisieren. Am Rande kamen wir im Gespräch zu dem Schluss: Jede Fremdsprache, die wir beherrschen, ist eine neue Art, die Welt zu betrachten, weil sich vieles gar nicht übersetzen lässt und durch die Geschichte und die Weltsicht der Nation geprägt ist. „Wer viele Sprachen spricht, kann gar keine Vorurteile mehr haben“, sagte Barry. Ich wette, das gilt auch für Klingonisch.