Berlin oder: Die Leiden von Lektor und Autor

Lustig, wenn einen beim Kotelett-Essen vom Nachbartisch der Hund eines ehemaligen ZDF-Chefs anhimmelt. Gestern war ich mit Freundinnen in Berlins (angeblich) ältesten indischen Restaurant. Der letzte Augusttag war noch warm genug, um draußen auf der Straße zu sitzen, und Nikolaus Brender war nicht der einzige, der den Abend genoss. Nebenan vor dem La Cantina saß der Schauspieler Hannes Jaenicke und diskutierte mehrere Stunden mit seinem Begleiter – vielleicht ein neues Projekt, irgendwie kam mir der Strohhut des anderen bekannt vor, vermutlich ein Regisseur.

Genial oder bescheuert? Schwer zu sagen

In Charlottenburg kommt also die Prominenz zusammen, wenn sie mal etwas Ruhe haben will. Auf der durch S-Bahn-Ausfälle bedingten Odyssee zurück zum Park and Ride Parkplatz Pankow kam ich mit einer Dame ins Gespräch, die zwar in Berlin wohnt, es aber nicht liebt. „Eigentlich ist das keine Stadt, es ist eine Patchworkdecke, und jeder bleibt in seinem Kietz“, sagte sie.

Irgendwie sehen diese armen Viecher zutiefst verängstigt aus

Trotzdem ist mir die Stadt mittlerweile etwas ans Herz gewachsen, auch wenn ich mich jedes Mal über die Rückkehr in mein idyllisches Schwedt freue.

PCK und Unteres Odertal – so nah

Besonders wegen des guten Essens und der Programmkinos fahre ich gerne in die Hauptstadt, und natürlich wegen der Drehkreuz-Lage, die es mir erlaubt, Freunde auf Durchreise zu treffen, die ich sonst zu selten sehe.

Der Film, der mich in dieser Woche beeindruckt hat, war „Genius – Tausend Seiten einer Freundschaft“ über die Beziehung des amerikanischen Schriftstellers Thomas Wolfe und seinem Lektor Maxwell Perkins. Die amerikanischen Kritiker mögen in dem Film Längen bescheinigen und die Emotionen vermissen, mir ging das überhaupt nicht so. Vielleicht aber auch nur, weil ich die Situation so gut nachfühlen konnte. Von mir aus hätten diese beiden von mir hochgeschätzten Schauspieler noch viel länger miteinander um jeden zu kürzenden Satz streiten können.

Als freie Lektorin habe ich den Vorteil, dass ich „nur“ dem Autor und seinen potentiellen Lesern verpflichtet bin und nicht noch Verlagsinteressen oder -programme beachten muss. Aber „Max“ hat mir ein paarmal voll aus der Seele gesprochen. Ich kann nur aus dem Kopf zitieren, der Kinostart ist zu frisch, um den genauen Wortlaut online nachzurecherchieren. „Es ist Ihr Buch. Ich bin nur dazu da, um das Beste herauszuholen“, ist ein Satz, den ich auch immer wieder sage. Gerade mit ihrem Erstling sind viele Autoren so unsicher und haben gleichzeitig Angst vor Kritik. Und natürlich davor, ihren Stil weggenommen zu bekommen. Dabei bleibt es ihnen am Ende natürlich selbst überlassen, ob meine Kritik sie überzeugt.

„Das ist eine Frage, die uns Lektoren nicht schlafen lässt: Machen wir ein Buch wirklich besser oder nur anders?“ Diese Aussage verwendet Thomas Wolf in einer Frustphase später gegen seinen Freund und wirft ihm vor, das Werk verstümmelt zu haben. Es ist immer eine unglaubliche Gratwanderung, aber man muss auch mal hart sagen: Jeder kann mit seinem Stil im Elfenbeinturm vereinsamen, wenn er die Leser damit nur verwirrt und nicht anspricht. Ich finde, der Film ist eine wunderbare Repräsentation, wie viel harte Arbeit von beiden Seiten in einem Buch steckt. „Geschichten sind wie Fundstücke, Fossilien im Boden“, sagt Stephen King. „Egal, wie gut Sie sind, egal wieviel Erfahrung Sie besitzen, es wird wahrscheinlich nicht möglich sein, das gesamte Fossil ohne eine einzige Schramme oder Macke freizulegen.“ Aber gemeinsam haben Autor und Lektor vielleicht größere Chancen.

Die beste aller möglichen Welten