Roadtrip, Teil 1: (Kein) Twilight, verunglückte Züge, Kurt Cobain und Zauberbäume

Drei Wochen Roadtrip durch Nordamerika, vom Küstenregenwald des Pazifik über die heißen Graslanden bis in die Rocky Mountains, über 6000 Fotos – ich bin gerade heillos damit überfordert, meine Eindrücke in einen oder eher mehrere Beiträge zusammenzufassen. Oder eine vernünftige Bilderauswahl zu treffen. Aber irgendwo muss ich ja anfangen – und als Autorin tue ich das am besten bei den Büchern, den Geschichten, der Inspiration.

Lesung aus „Neun Leben“ online

Vorher allerdings eine kurze Werbeeinblendung: Diese Woche war Weltkatzentag und ich habe diesen zum Anlass genommen, auf meinem YouTube Kanal ein wenig über mein Katzenbuch zu plaudern, die Recherchehintergründe, die Idee, die Bücher, die mich geprägt haben. Außerdem lese ich einen kurzen Abschnitt passend zu den verregneten Sommertagen: https://www.youtube.com/watch?v=YjhmRWXMB3o&t=13s

Twilight im Regen

Der größte Knaller vorweg: Ich bin durch Forks, Washington, gefahren, und habe nicht ein einziges Foto gemacht. Ich wünschte, ich könnte für meine Legende behaupten, dass ich das mit Absicht getan habe. Nicht umsonst ist No Pflock damals als das Anti-Twilight entstanden. Aber Tatsache ist, dass ich voll auf dem Schlauch stand, dass es genau das Forks war. Es ist zu lange her, sich den ersten Band gelesen habe (als einzigen, das langte, um meine Abneigung zu zementieren) und ich glaubte mich zu erinnern, dass die Stadt anders geschrieben wird. Aber, während der Regen auf unser Auto niederprasselte, erzählte ich dem Freund noch davon, wie Stephanie Meyer per Google ihren Handlungsort festgelegt hat anhand der wenigsten Sonnenstunden der USA.

Übrigens wundert es mich kein Stück, das der indigene Tribe, den Meyer einfach so für ihre Bücher vereinnahmt und ihre Werwolf-Mythologie angedichtet hat, Probleme mit Überschwemmungen und Erdbeben hat. Ich hätte nichts davon gehört, dass die weiße Autorin was von ihrem Geld abgegeben hat, das sie mit fremden Mythen machte, aber wer helfen will, kann sich hier informieren: https://mthg.org/

Es ist so ironisch! Gerade deswegen hätte ich eigentlich sehr gerne angehalten und ein Foto gemacht. Andererseits waren wir ohnehin schon knapp dran für die Fähre, die uns zurück über die Grenze nach Kanada bringen sollte. Ein Fotostopp hätte am Ende noch dazu geführt, dass sie sie verpasst hätten. Also war das schon alles ganz richtig so. Dafür habe ich ein schönes Foto am Eingangsschild von Castle Rock gemacht, auch wenn es nicht in Maine liegt. Enttäuschenderweise hat kein lokaler Stephen King-Fan einen Laden Needful Things genannt.

Warum ein Roadtrip?

Aber fangen wir mal vorne an: Drei Wochen sind der Freund und ich mit einem Mietwagen von Vancouver bis Vancouver gefahren und haben dabei eine große Schleife durch Kanada und den Norden der USA gemacht. Nicht alle Übernachtungen haben wir vorab gebucht, um spontan entscheiden zu können, wo es uns am besten gefällt. 4154 Kilometer sind so zusammengekommen. Ein ganz anderer Urlaub als meine erste Bekanntschaft mit diesem fantastischen Land in 1996, und zwar mit voller Absicht, damit ich nicht zu viel verglich. Immer auf dem Sprung zu sein, lebt in einem Spannungsfeld zwischen Faszination und leichter Enttäuschung, weil man für die einzelnen Stationen nie genug Zeit zu haben glaubt. „Werden Sie eine Geschichte darüber schreiben?“, hat mich eine Kanadierin der Fähre nach Vancouver Island gefragt. Vielleicht. Es ist so viel passiert in dieser Zeit, dass ich immer noch verarbeitete und darauf warte, in welcher Art dies alles in meine Geschichten einfließen wird. Ein wundervolles, sehr eigenes Erlebnis.

Einst Zugunglück, heute „Freiluftgalerie“

Start unseres Trips war in Whistler, und weil wir nicht nur Autofahren, sondern auch viel wandern wollten, liefen wir uns erst einmal auf dem Train Wreck Trail warm. Ein Traum für alle Fans von Abandoned Places! Auch wenn es mittlerweile touristisch etwas ausgeschlachtet ist, mein Eisenbahner kam auf seine Kosten. 1956 fuhr ein Güterzug auf der Strecke mehr als doppelt so schnell wie erlaubt – und entgleiste prompt. Zum Glück kam niemand ums Leben. Weil es schwer war, die Wagen aus der Wildnis zu bergen, wurden sie mein Stück von der Bahnstrecke weggeschleppt und liegen gelassen. Nach und nach haben sich viele Graffiti-Künstler darauf verewigt, sodass die Stadt das ganze nun eine Freiluftgalerie nennt. Wenn da keine Geschichte drinsteckt, weiß ich auch nicht.

Kurt Cobain Memorial under the Bridge

Perfekter hätte es gar nicht sein können: Gerade als wir am Gedenkpark in Aberdeen ankamen, wo der junge Kurt Cobain immer unter der Brücke rumgelungert hatte, saß da ein Nirvana Fan mit seiner Gitarre und spielte: „Something in the Way„. Es ist schon etwas eigenartig, dass die Stadt, in der der Sänger seine pessimistische Lebenseinstellung für Grunge-Musik bekam, heute so stolz darauf ist. Umso passender finde ich es, wie die Graffiti-Sprüher auch hier eingefallen sind. Andere mögen es für respektlos halten, ich mag es, dass kein Zentimeter dieser Gedenktafeln sauber geblieben ist.

Direkt neben der Brücke schließt sich ein Eigenheimsiedlungsgebiet an und eine Ecke weiter ein kleines Zeltlager von Obdachlosen. Das haben wir in den USA immer wieder beobachtet, ganz extrem in Portland, Oregon: Menschen zelten einfach mitten in der Altstadt oder auf dem Bürgersteig Richtung Bahnhof. Auf der einen Seite könnte man sagen, es ist gut, dass die Stadt ihnen einen Platz lässt  – in anderen Touristenstädten gibt es auch Obdachlose, man sieht sie nicht, weil sie davonjagt werden. Auf der anderen Seite sieht es so aus, als ob sich wirklich kaum jemand um diese Menschen schert, sie überhaupt keine Chance haben, jemals wieder da raus zu kommen. Sie liegen einfach am Poet’s Beach besoffen in der Sonne, während wir die Gedichte lesen, die die Mauer hinunter zum Wasser schmücken.

Keep Portland Weird“ ist das Motto der Stadt, auf die ich mich gefreut habe, seit ich sie in den leider noch unveröffentlichten Geschichten einer Freundin kennengelernt habe. Sie hat mich gleichermaßen erschreckt wie begeistert. Tali, wenn du das hier liest: Die Verkäuferin von Voodoo Doughnuts will unbedingt, dass deine Thriller ins Englische übersetzt werden. Auch wenn sie fleißg Deutsch lernt. Ja, es gibt Voodoo Doughnuts. Man muss anstehen wie vor einem edlen Club, und natürlich haben wir auch eine Voodoo-Doll gegessen, gepflockt mit einer Salzstange. Wir haben aber an niemand Bestimmten gedacht, also geht das wohl klar.

Kanada oder USA?

Da wir nun Rücken an Rücken Zeit sowohl in dem einen als auch in dem anderen verbracht haben, sind die Unterschiede umso auffälliger geworden: Obwohl beide Einwanderungsländer sind und die Menschen sehr stolz auf ihr land, sind Stimmung und Mentalität schon sehr unterschiedlich. Auf den ersten Blick offen und redefreudig sind die Leute sowohl hier als auch da, aber was bei den US-Amerikanern wie purer Smalltalk wirkt, wird bei den Kanadiern sehr schnell persönlich und herzlich. es ist schon äußerst eigenartig, an Häusern mit Trump-Flaggen und „Verhaftet Biden“-Schildern vorbei zu fahren und sich klarzumachen, dass es so etwas wirklich gibt und wie tief gespalten die USA sind. In Portland wehen dafür an allen Ecken Fahnen zur Unterstützung von queeren Menschen. Und ich werde mich nie daran gewöhnen, das ein Antiquariat mit Schwerpunkt auf die Aufarbeitung der indigenen Geschichte und Umweltschutz direkt neben einem Waffenladen liegt.

Die schönste Gemeinsamkeit: die Natur

Auch wenn wir die größten Mammutbäume Kanadas in Cathedral Grove nicht besuchen konnten, weil das Land von den schlimmsten Waldbränden seiner Geschichte heimgesucht wird (keine Sorge, der Nationalpark selbst ist zum Glück nicht gefährdet, aber die Straße dorthin war gesperrt, weshalb wir eine Übernachtung umbuchen mussten), haben wir auf beiden Seiten der Grenze einige äußerst beeindruckende Exemplare gesehen: die Big Cedars in Washington State, die Hall of Mosses im Olimpic Nationalpark und natürlich die herrlich verschlungenen Wälder auf Vancouver Island.

Ich bin ein echter „Treehugger“ und träume davon, irgendwann einmal in Worte fassen zu können, was diese Wälder in mir auslösen. Welche Zauberwesen ich in ihren Ästen erkenne und welche Geschichten diese Pflanzen sich vielleicht gegenseitig zu flüstern. Und am liebsten würde ich das an dem kleinen Schreibtisch auf der Terrasse unseres Cottonwood Cabin tun, der schönsten Übernachtungsmöglichkeit auf der ganzen Reise, während der Elise Creek neben mir rauscht und sich ein Eichhörnchen lautstark über die ungewünschten zweibeinigen Nachbarn beschwert. Aber das ist eine Geschichte für einen anderen Tag.

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