Der Zollbeamte studiert meinen Personalausweis im Schein der Taschenlampe. „Geboren in Gießen, wohnhaft in Schwedt„, liest er laut. „Was hat Sie denn hierher verschlagen?“
„Die Arbeit“, sage ich.
„Ich dachte, hier gibt’s keine Arbeit.“
Ich war gerade das erste Mal mit meinem neuen UM-Kennzeichen nach Polen zum Tanken gefahren. Bei durchschnittlich 20 Cent Unterschied lohnt sich der kurze Weg über die Oder nach Krajnik Dolny. Und prompt wollte eine Kontrolle von mir wissen, ob ich Kanister vollgefüllt oder Zigaretten gekauft hatte. Mit meinem LM-Kennzeichen war mir das vorher nie passiert. Dabei könnte ich mir vorstellen, dass sich gerade Touristen nicht mit den Einfuhrbestimmungen aus anderen EU-Ländern befasst haben. Und die Episode spielte sich ab, bevor ganz Deutschland wusste, dass in Limburg gerne mit Geld um sich geworfen wird.
Ja, die Uckermark, einstige Heimat der Bundeskanzlerin, war 2012 tatsächlich der Landkreis mit der höchsten Arbeitslosigkeit. Darum dieser absolut ungläubige Tonfall? Als ich vor dreieinhalb Jahren vom Westen in den Osten aufbrach, warnten mich viele Bekannte, dass ich dort Vorurteilen gegenüber „Wessis“ begegnen würde. Ein weiteres Vorurteil gegenüber den „Ossis“, wie sich herausstellte. In einer Stadt, die seit der Wende permanent schrumpft, war die Reaktion der Schwedter, denen ich meine Herkunft enthüllte, eher positiv: Wow, da ist ein junger Mensch, der freiwillig hierher kommt. Und das auch noch aus dem Westen!
Umso mehr habe ich gelacht, als jüngst der Focus in einer Untersuchung Eichstätt zur lebenswertesten Region Deutschlands wählte. Das freut mich für meinen ehemaligen Studienort. Aber ausgerechnet Frankfurt an der Oder, meine erste Station im „wilden Osten“, landete auf dem letzten Platz. Wie kann es sein, dass ich von der besten in die schlechteste Region ziehen musste, um einen Job zu kriegen? „Weil Journalisten von schlechten Nachrichten leben“, kommentierte ein Bekannter lapidar. Touché!
Tatsächlich fühle ich mich im Osten Brandenburgs nicht weniger wohl als in Bayern. Und das liegt an dem Kriterium, das eine Region wirklich lebenswert macht: Freunde. So kann man auch die Botschaft des „Happy“-Videos deuten, das im Zuge des Hypes auch in Frankfurt-O gedreht wurde und fast zeitgleich mit der Focus-Studie rauskam. Fast wie eine Trotzreaktion. Und warum auch nicht?
Es gibt viele Missverständnisse zwischen Ossis und Wessis, zwischen Deutschland und Polen, zwischen West und Ost. Einem Pendler wie mir fällt das auf. Deshalb bin ich auf die Idee gekommen, alle, die es interessiert, an meinem kleinen Grenzverkehr teilhaben zu lassen. (Danke an Erich Kästner für den Titel.) Viel Spaß!
Zustimmung: Freunde sind Heimat. Und Schwedt hat darüber hinaus viel zu bieten, um sich auch in der Region wohlzufühlen (z.B. Eichstätt hat den Naturpark Altmühltal – Schwedt gehört zum Nationalpark "Unteres Odertal" – wunderschön!). Ansonsten gebe ich dir mit Kästner recht: Der Humor ist der Regenschirm der Weisen.
Jürgen Weil
Hallo Andrea.
Welcome in der Welt der Blogger. Freue mich auf weitere Einträge von dir und darauf, noch weiter meine Vorurteile abzubauen.
LG