Mitleidsstimmen und rote CDU-Äpfel

„Nehmen Sie meine Karte mit! Aus Mitleid!“, ruft der Mit-Zwanziger am FDP-Stand einer Passantin hinterher. Doch auch das Baby, das er sich vor den Bauch geschnallt hat, kann sie nicht erweichen. Jetzt sind die ersten Hochrechnungen da und zeigen: Nur, weil die Drei-Prozent-Hürde bei der Europawahl gefallen ist, kommt die FDP ins Straßburger Parlament. Dabei bestand in der Uckermark, wo zugleich Kreistag gewählt wurde, bei den  Einheits-Wahlplakaten Verwechslungsgefahr mit CDU unbd SPD. Leider gelang es den Rapsgelben auf Europaebene aber nicht, von den Großen zu fischen: Die europafeindliche AfD gewinnt wahrscheinlich bei ihrem Debüt auf Anhieb doppelt so viele Sitze.

Hätte die FDP ohne „Mitleidsstimmen“ noch weniger geholt und wäre letztendlich unter „Andere“ geführt worden? Gibt es ernsthaft jemanden, der sich von Wahlkampfständen dazu bringen lässt, seine politische Meinung zu ändern? Parteien und manche Politologen schwören auf den „direkten Kontakt zum Bürger“, aber mich nervt es, auf der Straße angequatscht zu werden, wenn ich Eis essen will. Der Herr von den Linken schließt daraus gleich auf meine Gesinnung und reagiert beleidigt. Dabei will ich einfach nur kein Pamphlet mit mir rumschleppen, wo nichts drinsteht, was ich nicht schon vorher als einigermaßen politisch interessierter Mensch wusste. Dass ich gestern am Berliner Alexanderplatz den Apfel vom CDU-Stand mitgenommen habe, hatte allein mit meinem Hunger zu tun. Dann war der Apfel auch noch knackig rot – und die Symbolik für die Katz.

Eine reichlich verschwubelt formulierte Studie an der Freien Uni Berlin aus dem Jahr 2012 kommt immerhin zu dem Ergebnis, dass Straßenwahlkampf die Bürger daran erinnert, zur Wahl zu gehen, und Anhänger einzelner Parteien mobilisiert – wenn er schon nicht ihre Meinung ändert. Dasselbe gilt wohl auch für Wahlwerbung, die trotz Keine-Werbung-Einwerfen-Aufkleber in meinem Briefkasten landet. Ich kann mit großer Freude sagen, dass ich jede einzelne Frage des NPD-Bogens „Sind Sie rechtsradikal?“ mit Nein beantworten konnte. Einen Sitz kriegen die Neo-Nazis wahrscheinlich trotzdem in Straßburg. Aber die Tierschutzpartei hat mehr Stimmen geholt. Ein Hoch auf die Tierschützer!

Übrigens: Wer heute in der Schwedter Talsandschule wählen gegangen ist, ist wahrscheinlich in der ARD-Hochrechnung mit drin. Diesmal unterscheiden sich die Prognosen der beiden öffentlich-rechtlichen Sender nicht so stark wie in der Vergangenheit. Aber was waren das für komische Figuren auf der quietschgelben Krawatte des ARD-Mitarbeiters? Gummienten? Tiegerenten? Fipsis?