Blick von Arthur’s Seat auf Edinburghs Altstadt mit Burg (oben links)
und Holyrood Palace, Sommersitz der Queen (unten rechts)
Den schottischen Nationalstolz bekomme ich schon am ersten Abend in einem Edinburgher Supermarkt zu spüren. Ich kaufe zwei Kanister mit je fünf Liter Wasser. Der Mann an der Kasse: „Mögen Sie kein Leitungswasser?“
Ich: „Na ja, da ist Chlor drin, das ist nicht so mein Fall.“
Er: „Wir haben das beste Leitungswasser der Welt! Kennen Sie London? Wenn Sie vorher in London gewesen wären, wüssten Sie das Wasser hier zu schätzen.“
Ich übersetze hier die Gespräche frei aus dem Gedächtnis. Überraschenderweise hatte ich relativ wenig Probleme, die Schotten zu verstehen. Allerdings ist die Hauptstadt noch vergleichsweise harmlos, was den Dialekt betrifft. Verzeihung – wie mir schon vor Jahren ein schottisches Pärchen auf Urlaub in Bayern erklärte: Schottisch ist kein Dialekt, sondern wie Englisch eigentlich gesprochen gehört!
Selbst die Engel spielen Dudelsack im St. Giles Cathedral
Und dass es kaum Verständigungsschwierigkeiten gab, war nur gut. Denn was mich in diesen zwei Wochen in Edinburgh am meisten beeindruckt hat, waren die Schotten selbst: Unglaublich freundliche und offene Menschen, mit denen man sehr leicht ins Gespräch kommen kann – zumindest in dieser Nebensaison, wo alles ein bisschen entspannter ist und die Stadt nicht überquillt von Touristen wie zu Zeiten des Festivals. Ich war dort mit einem EU-Programm, um mit einer Gruppe Journalisten einen englischen Reiseführer zu erstellen. Den gibt es auch bald als E-Book, der Link folgt noch.
Das gescheiterte Referendum für die Unabhängigkeit von Großbritannien ist immer noch ein Thema und keineswegs tabu. „Wer geschlagen ist, kommt umso stärker zurück“, kommentiert Liz, eine süße alte Dame, die im Teehaus an meinem Tisch sitzt und der ich so eine kämpferische Aussage gar nicht zugetraut hab. Ben, unser Guide beim Stadtrundgang, hat mit „Ja“ für die Unabhängigkeit gestimmt, versteht aber, warum die Gegner gewonnen haben. „Die Idee kam von den Politikern, nicht von den Menschen. Die wollten nur der Labour Party wegen des Kriegs eine Absage erteilen“, sagt er.
Ben: Lebendige Stadtführung – nur manchmal etwas zu schnell
Während wir uns in unsere Mäntel mummeln und lange Unterhosen tragen, rennt Ben in Shorts herum. Aber eigentlich kein Wunder, dass ihm nicht kalt wird: Wenn er von der Geschichte Schottlands erzählt, ist der ganze Körper im Einsatz. Wir müssen ihn gelegentlich in seinem Redefluss bremsen, weil er zu schnell wird. Besonders viel Temperament zeigt er in seiner Schmährede auf den Film „Braveheart“. Einfach alles hat Mel Gibson falsch gemacht: Die blaue Farbe ist 600 Jahre zu spät und der Ehrenname Braveheart bezog sich historisch auf Robert de Brus, dessen einbalsamiertes Herz nach seinem Tod den Kreuzrittern vorangetragen wurde, um ihnen in der Schlacht Mut zu machen. „Nicht mal den Soundtrack haben sie richtig hingekriegt, das sind irische Dudelsäcke, keine schottischen!“, schimpft Ben.
Cesare und Mario von „Acid Tuna“ sind aus Spanien nach Edinburgh eingewandert
Musik spielt in Edinburgh eine große Rolle. Selbst im Winter stehen entlang der Royal Mile, die von der Burg bis zum Sommerpalast der Königin führt, Straßenmusikanten, und zwar nicht nur Dudelsack-Spieler. Mario und Cesare sind extra aus Spanien eingewandert, weil sie die Live-Musik-Kultur von Edinburgh so schätzen. „In Spanien ist mal ein Ton zu laut und sofort erstatten die Nachbarn Anzeige. Als Musiker ist man fast ein Verbrecher“, erklärt Mario, der mit seinem weißen Kontrabass „Mrs. Robinson“ zupft. In Edinburgh finden sie immer einen Gig, fast jeden Abend gibt es in irgendeinem Pub Live-Musik bis morgens um eins und die Schotten empfangen die beiden Spanier mit offenen Armen.
Selbst die Traditionstänze werden so ganz nebenbei und ohne Tamtam, einfach mit Spaß gepflegt. Jeden Dienstagabend spielt eine andere Band in der Summerhall und über hundert Leute jeden Alters treffen sich, um Ceilidh zu tanzen. Mich erinnern die Formationen an Mittelaltertänze – nur etwa doppelt so schnell. Einfach nur zuschauen ist nicht, ehe ich’s mich versehe, bin ich mittendrin, hab bald Seitenstechen und einen Drehwurm und unendlich viel Spaß.
(danke Lydia für das Bild von mir im freien Flug – meine armen Tanzpartner!)
Die Männer im Kilt, erkennt man schnell, sind meist die, die Ahnung haben. Aber jeder Anfänger ist willkommen. Die Band und die freundlichen Mittänzer erklären gern, wie die Schritte gehen, und wenn man mal durcheinanderkommt, lachen sie freundlich. Ein Hochleitungssport nach meinem Geschmack!
Anfänger und Profis, rund 100 Leute in einem großen Saal.
Dudelsack, Kilt, was fehlt noch an typischen schottischen Klischees? Natürlich der Whisky. Dass in diesem Jahr beim World Whisky Award ein Japaner das Rennen gemacht hat, hat bei vielen Schotten geradezu Entsetzen ausgelöst. Nicht, dass der japanische schlecht wäre, beeilen sie sich zu versichern, aber besser als die einheimischen? In den Fußstapfen von Prinz William und Kate besuchen wir die Destillerie, wo „The Famous Grouse“ hergestellt wird. Es ist ein Fest für die Nase, denn in jedem Raum riecht es anders.
Highland-Feeling
Schön verkosten können wir aber auch im Pub „The Diggers“, so benannt nach den Totengräbern, die das Lokal zwischen zwei Friedhöfen für einen Absacker nutzen. Weil nicht genug Platz ist für alle, lande ich am Tisch mit Don. Nachdem der seinen einzigen deutschen Satz zum Besten gegeben hat („Deutschland über alles“) geht es im Gespräch bergauf. Er mag Deutschland, hat es halt noch als Angehöriger der britischen Armee erlebt, ist aber ein Fan der schönen Städte und der friedlichen Wiedervereinigung. Don hat gegen das Referendum gestimmt. „In der EU geht es doch darum zusammenzuwachsen. Warum sollen wir da unser eigenes Ding drehen?“
Whiskytrinken unter Dons Anleitung im „Diggers“
Don erklärt mir, wie ich Whisky richtig genieße: erst schnuppern, dann einen kleinen Schluck über die Zunge rollen lassen, dann einen kleinen Schuss Wasser rein, damit sich nochmal ganz neue Aromen entfalten. Den Juror vom Whisky Award will Don mal in die Finger kriegen, ihn ins Diggers schleifen und ihn mal was durchprobieren lassen. Und dann soll der nochmal behaupten, die Japaner seien besser!
Eine Stadtführung der feuchteren Art
Es geht aber bei Weitem nicht nur ums Saufen in dieser Stadt. Kulturell hat Edinburgh viel zu bieten. Der Eintritt in die Museen ist fast überall kostenlos, ebenso in Galerien. Ich verbringe ein Mittagessen im The Stand Comedy Club, das mir viel Bauchschmerzen bereitet. Nicht das Essen, das ausgezeichnet ist, sondern weil ich so viel lachen muss. Zwei Stunden Improvisationstheater mit Stu und Garry, und das Ganze zum Preis von einem Burger! Einmal greifen sie sogar eine Idee von mir auf. Die Aufgabe: Ein Moderator (Gaststar) interviewt einen Experten (Stu), während Greg mit einem Opfer aus dem Publikum die „Bebilderung“ des Berichts darstellt. Die Zuschauer dürfen reinrufen, für was Stu Experte sein soll. Hier ein Video, was sie aus meinem Vorschlag – das Leben des gewöhnlichen Kängurus – gemacht haben.
Aber ich mach mich ja auch gern selbst zum Affen. Und deshalb ist für mich ein Höhepunkt der Reise der Abend im Storytelling Café gewesen.
Das ist nur das Haus von außen, eines der ältesten Gebäude an der Royal Mile, von ca. 1490. Aufzeichnungen habe ich keine zu diesem Abend, an dem ich einfach nur mal genießen wollte, wie Geschichten erzählt werden. Einmal im Monat ist da nämlich offenes Mikrofon. Gastgeber Douglas lässt am Anfang ein Buch herumgehen und jeder, der einen Beitrag leisten will, kann seinen Namen und ein Stichwort eintragen. Da gibt es eine Australierin, die zum ersten Mal in ihrem Leben Schnee erlebt hat an diesem Tag und schrecklich friert, aber ein sehr schönes Gedicht über einen Sommersturm in Australien vorträgt. Ein Anthropologe, der gerade aus dem Amazonas zurückgekehrt ist, bringt ein Lied vom Lebensbaum mit. Tja, und wie soll ich da ausschlagen, ein deutsches Gedicht zum Besten zu geben? Passend zur Saison (und weil es eines ist, was ich noch kann) wähle ich „Knecht Ruprecht“. Meine Pantomime mit meinem Schirm als Rute löst große Erheiterung aus. 30 Leute, die zusammensitzen und sich was erzählen – wie herrlich! Und ein nettes schottisches Pärchen bittet mich sogar an ihren Tisch, damit ich nicht alleine sitzen muss.
Ich bin natürlich nicht die erste und einzige, die die Freundlichkeit der Schotten und die Schönheit ihrer Hauptstadt entdeckt hat. Aber ich hätte nie damit gerechnet, dass der Typ, den ich auf dem Weihnachtsmarkt auf Englisch anquatsche, ausgerechnet ein Auswanderer ist – aus Schwedt!
Christian Schmidt preist auf dem deutschen Weihnachtsmarkt Glaskunst an
Christian Schmidt ist vor elf Jahren nach Edinburgh gezogen. Und nur eine Woche zuvor habe ich mit seiner Mutter beim gemeinsamen Adventskonzert der Schwedter Chöre auf einer Bühne gestanden! Kann mal jemand diese Wahrscheinlichkeit ausrechnen? Eigentlich ist Christian Krankenpfleger, aber in der Adventszeit hilft er einem Freund auf dem Weihnachtsmarkt aus. Denn auf einem deutschen Weihnachtsmarkt erwarten die Schotten einen deutschen Akzent des Verkäufers, auch wenn er aus der Schweiz oder aus Neuseeland kommen sollte. Tja, wenn mich eine Stadt bisher selbst zum Auswandern gereizt hat, dann diese…
Und weil der Blog jetzt schon zu lang ist, gibt es eine Fortsetzung. Nächstes Mal: Wie Edinburgh Autoren von Charles Dickens bis J.K. Rowling inspiriert hat.