Von Mr Hyde bis Harry Potter: Edinburgh, die Stadt, die Autoren beflügelt

Schon erkannt? Was im Hintergrund wie ein Schloss aussieht, ist die George Heriots School in Edinburgh. Warum man das kennen sollte? Gut, im Film sah es etwas anders aus, trotzdem soll dieses 1628 als Hospital erbaute Gemäuer für J. K. Rowling das Vorbild für ihre Zauberschule Hogwarts gewesen sein. Das behaupten zwar auch noch andere Schulen in der Stadt, aber weil Hariots direkt neben dem Greyfriars Kirkyeard liegt – und direkt in Sichtweite des Cafés „Elefant House“, in dem Rowling saß und schrieb -, ist das die wahrscheinlichste Erklärung. Allerdings lernen die rund 1600 Schüler in einer erheblich weniger gefährlichen Umgebung auch mal sowas wie Schreiben und Rechnen – etwas, wo Harry Potter und Co später mal einigen Nachholbedarf haben werden!

Dieser Grabstein von Thomas Riddell auf dem Greyfriars Kirkyard
 ist zur Pilgerstätte für Harry Potter-Fans geworden

 

Da war einer der Ansicht, dass Harrys Onkel auch einen Grabstein verdient hat, 
wenn schon Lord Voldemort  hier liegt

 

Für das Café ist das natürlich willkommene Werbung

Einen etwas deftigeren Geschmack hat Ian Ranking, der seinen Lieblings-Pub, die Oxford Bar, eins zu eins in seine Rebus-Krimireihe übernommen hat und seinen Inspektor dort fleißig Bierchen kippen lässt. Die Bar ist winzig klein und schon vom Geruch wird man besoffen – aber die Stammkunden an der Theke nehmen die Fans aus Deutschland mit Humor.

Rowling und Rankin sind vielleicht die jüngsten, aber bei weitem nicht die einzigen Beispiele für Schriftsteller, die sich von der schottischen Hauptstadt mit ihren alten Häusern und verwinkelten Gassen haben inspirieren lassen. Arthur Conan Doyle wird zwar von vielen mit London in Verbindung gebracht, doch er ist in Edinburgh geboren. Vor allem: Hier lernte er als Medizinstudent Joseph Bell kennen, einen berühmten Forensiker, der später am Fall von Jack the Ripper mitarbeitete und Doyle als Vorbild für seinen Sherlock Holmes diente.

Rowling ist auch nicht die erste, die Namen von Grabsteinen klaute. Charles Dickens, zu Besuch bei einem Freund, ging morgens auf dem Canongate Kirkyard spazieren. Auf einem Grabstein las er: „Ebeneezer Scrooge – mean man“. Meine Güte, dachte sich Dickens, was hat dieser Mann getan, dass ihn seine Erben noch auf dem Grabstein als gemein, hinterhältig und geizig bezeichnen? Und das in einer Zeit, wo sich nur die Reichen einen Grabstein leisten konnten, es also unmöglich ein verurteilter Verbrecher sein konnte. Dickens grübelte darüber nach und schrieb schließlich „A Christmas Carol“, seine vielleicht berühmteste Geschichte vom Geizhals Scrooge, der von den drei Weihnachtsgeistern zu einem besseren Menschen bekehrt wird. Hätte Dickens jedoch seine Brille dabei gehabt, hätte er die wahre Inschrift lesen können: „Ebeneezer Scroogie – meal man“ – zum Gedenken an einen freundlichen Menschen, der den Alten und Kranken ihre Mahlzeiten ins Haus brachte.  Auch wenn die Geschichte zu sehr nach Anekdote klingt, ist klar, dass die Stadt Charles Dickens sehr beeindruckte.

Die Statue von Robert Fergusson vor dem Canongate Kirkyard. Der Dichter starb 
1774 im Alter von nur 24 Jahren im Irrenhaus. Trotzdem beeinflusste er das Werk von Robert Burns, 
einem der schottischen Lieblinge.
 

In einer niedlichen kleinen Seitenstraße der Royal Mile ist übrigens das Writer’s Museum zu finden, das sich den drei Großen der Stadt gewidmet ist: Robert Burns, Sir Walter Scott und Robert Louis Stevenson. Ersterer ist vielleicht nur den Schotten wirklich bekannt und selbst die können seine Gedichte, die er in drei verschiedenen Dialekten schrieb, nicht ohne Übersetzung verstehen. Zweiterer hat selbst Goethe Respekt abgerungen und nach seinem Tod errichtete man dem Autor von „Ivanhoe“ mitten in der Stadt ein Monument, das sich vor keiner Kathedrale verstecken muss. Stevenson ist natürlich am besten dokumentiert mit seinen Reisen – und der beliebteste. Seit über 70 Jahren gibt es einen Fanclub, der jeden Donnerstagnachmittag im Museum für Fragen der Besucher zur Verfügung steht.

Viele Touristen stolpern zufällig ins Museum, weil ihnen das
„Lady Stair’s House“, erbaut 1622, so gut gefällt

 

Von ihm stammt auch die spannendste (und im Gegensatz zu Dickens belegte) Geschichte, wie das widersprüchliche Edinburgh und seine dunklen Seiten einen Autor unmittelbar auf eine Geschichte gestoßen haben: Stevensons Familie war nämlich eng mit dem Tischler Deacon William Brodie befreundet, der als ehrenwerter Bürger im Stadtrat saß und unter anderem einen Untersuchungsausschuss leitete, der eine mysteriöse Einbruchserie in die Häuser der besseren Gesellschaft aufdecken sollte. Das Problem: Brodie selbst war der Kopf der Räuberbande! Spielschulden brachten ihn dazu, seine Freunde auszuspionieren und nachts ihre Schränke aufzubrechen, zum Teil mit den Ersatzschlüsseln, die er als Macher dieser Schränke in seiner Werkstatt hatte! Das ging einige Zeit gut, bis ein paar Handlanger geschnappt wurden und ihn verrieten. Brodie wurde 1788 erhängt, an einem Galgen, den er selbst (mit Falltür) entworfen hatte. Ein ziemlicher Schock für den kleinen Robert, der den Gauner als lieben Onkel kannte. Ganz klar, welche Geschichte dabei herauskam: Der seltsame Fall des Dr. Jekyll und Mr Hyde. Eine Geschichte so kultig, dass sie in den allgemeinen Sprachgebrauch übergegangen ist und sogar von den Toten Hosen als Vergleich herangezogen wird. Und jedem ist klar, woher die Idee mit dem Hulk kommt, oder?

Brodies Pub an der Royal Mile, angeblich nahe des Platzes, wo er gehängt wurde, 
zeigt die beiden Gesichter des Mannes

O ja, ich verstehe sehr gut, warum sich so viele Autoren seit Jahrhunderten von Edinburgh angezogen fühlen. Ich hatte auch gleich das Bedürfnis, mich hinzusetzen und Geschichten zu schreiben. Schaut euch allein diese wundervollen Buchläden an!

Ob bis zum Bersten vollgestopft mit Second-Hand-Büchern oder ein edles Ambiente, in dem die Cover präsentiert werden als die Kunstwerke, die sie sind:

Und ich habe selbst dort Hinweise auf Weltliteratur (im populären Sinne) gefunden, wo sie gar nicht beabsichtigt waren!

Ein Geschäft namens Rohan direkt neben einem weißen Baum? Leider waren die Kollegen alle miteinander keine Fantasyfans, deshalb musste ich mich allein darüber freuen. Ebenso wie über „Castle Rock“ – na gut, es ist schon einige Jährchen her, dass Stephen King seine fiktive Lieblingsstadt untergehen ließ.

Der Meister der Überraschung und des Hauptcharaktere-Tötens hat zwar mit Edinburgh nun wirklich nichts zu tun, aber ich mag die Werbung:

Ja, da stecken noch viele, viele Geschichten drin, in dieser Stadt. Und ich hatte nur zwei Wochen Zeit – und obendrein mit Arbeit vollgestopfte Wochen -, um einen Bruchteil davon zu erkunden. Auf jeden Fall möchte ich eines Tages zurückkehren und weiter forschen und mich inspirieren lassen. Allein  dieses Graffiti erzählt einen Krimi, habe ich das Gefühl:

4 Kommentare zu „Von Mr Hyde bis Harry Potter: Edinburgh, die Stadt, die Autoren beflügelt“

  1. Danke für den schönen Edinburgh-Post. Ich muss da unbedingt ganz bald mal wieder hin. Das letzte Mal war ich während des Edinburgh Festivals und da sah man die Stadt vor lauter Menschen nicht …

  2. Interessant zu wissen, dass J. K. Rowling sich Namen für die Helden in Harry Potter aus Grabsteinen geliehen hat. Mein Onkel möchte ein Buch schreiben. Er hat bereits mehrere Friedhöfe besichtigt, um interessante Namen aus den Grabsteinen abzuschreiben.

    1. Das mache ich auch immer gern. Je größer die Stadt und der Friedhof, desto vielseitiger die Namen, erfahrungsgemäß. 🙂

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