Twilight, Crave und die Auferstehung des Vampirgenres

Das Vampirgenre wirkte in den vergangenen Jahren reichlich ausgelutscht, aber wie es mit Untoten so ist: Sie stehen immer wieder auf.

Jaja, die Möglichkeiten für schlechte Wortwitze sind unendlich in diesem Zusammenhang. Aber es stimmt: Bereits 1967 hat Polanski mit „Tanz der Vampire“ eine Parodie auf Dracula gebracht – und 30 Jahre später in ein Musical verwandelt, das den Humor rausnimmt und Graf Krolock als gepeinigte Seele zeigt, ein Beweis dafür, welch unterschiedliche Rollen Vampire in unterschiedlichen Zeiten ausfüllen. Ich kann das Musical fast auswendig singen und mochte den Film sehr – doch auch wenn er entstand, bevor der Regisseur nachweisbar ein Vergewaltiger wurde, kann ich keines von beiden mehr so richtig genießen, seit ich davon weiß. Jedenfalls möchte man meinen, dass alle Variantionen auf den Blutsauger schon durchgespielt wurden, wenn man bei Parodie angekommen ist – und doch erleben sie immer und immer wieder ein Comeback. Besonderen Einfluss auf die Popkultur hatten dabei nach Bram Stokers Dracula (Buch 1897, seither nahezu unzählbar viele Verfilmungen) Anne Rice‘ „Interview mit einem Vampir“ (Buch 1976, Film 1994) und natürlich die Twilight-Saga (1. Buch 2005, 1. Film 2008). Ich persönlich habe Vampire von Kindheit an geliebt, beginnend mit der 80er-Serie „Der kleine Vampir“ (weniger die Bücher). In der Grundschule hatte ich sogar einen „Vampirclub“ mit Freundinnen gegründet, auch wenn ich meine Faszination noch nicht erklären konnte.

Es ist wirklich spannend, wie Wissenschaftler die Figur des Vampirs in Literatur und Film über die Jahrhunderte weg beurteilen (hier lohnt es sich tatsächlich, auf meine Links zu klicken, nur leider sind viele dieser ausgezeichneten Analysen auf Englisch). War Nosferatu von 1922 noch unangenehm an rassistische und erniedrigende Darstellungen des „Fremden“ und insbesondere jüdischer Menschen angelehnt, wurde Dracula spätestens seit Bela Lugosis Auftritt 1931 sexy. Filmemacher nutzten das Monster, um die Zensur sexueller Inhalte und insbesondere homosexueller Beziehungen zu umgehen, etwas, das Interview mit einem Vampir in den 90ern interessanterweise immer noch getan hat, ein ganzes Eckchen weniger codiert, aber immer noch nicht geradeheraus in einem Mainstream-Hollywoodfilm. Vampire waren also immer die Faszination des Verbotenen, das Spiel mit der Gefahr.

Ich war besessen von „Interview“, Buch und Film, allerdings weniger wegen der sexuellen Seite als wegen der philosophischen Frage, ob der Mensch überhaupt dafür geschaffen ist, unsterblich zu sein, oder ob wir schlicht den Willen zu leben verlieren, wenn alles, was wir kannten und liebten, sich verändert und verschwindet. Diese Idee konsequent zuende gedacht führte schließlich zu Ravics Charakter in No Pflock: Nur jemand, der sich um nichts wirklich schert und nichts ernst nimmt, inklusive sich selbst, kann eine (der Leserschaft noch unbekannte) Anzahl von Jahrtausenden aushalten. Natürlich ist es pure Absicht, dass er Jungvampir Martin, als dieser beginnt, mit seinem Gewissen zu hadern, mit einem „Interview“-Zitat neckt: „Oh, Louis, immer das gleiche Gewinsel.“ – Denn das ist der zweite Aspekt, der mich persönlich an Vampiren fasziniert und nie aufhören wird, es zu tun: Der Konflikt, sich die Unsterblichkeit mit den unzähligen Leben anderer zu erkaufen. „Jeder, der nur einen Funken Anstand besitzt, wäre längst in die Sonne gegangen!“, wirft Alina Ravic an den Kopf. Was also bringt einen Menschen dazu, dieses Leben zu wählen? Welche Düsternis, die in uns selbst wohnt und die sich vielleicht allein schon darin äußert, dass wir diese Vampirgeschichten begeistert lesen? Deshalb war es in einer früheren Fassung von „Menschenwolf“ ein Vampir, der sich mit meiner Werwölfin Isa anfreundete und ihre dunkle Seite repräsentierte.

Und dann kamen Edward und Bella. O boy! Ja, ich habe den ersten Band im englischen Original gelesen, sogar überraschend schnell, auch wenn ich mich am Ende fragte, was genau eigentlich passiert ist in dem Ding. Ich wollte wissen, was ich da hasse, und da ich noch nie Liebesgeschichten mochte und Stephenie Meyer mehr oder weniger alles wegließ, was Vampire für mich spannend werden ließ, reihte ich mich ein in den Chor aller, die sich über die Serie lustig machten. (Wobei ich zugeben muss, dass sich Vampire eigentlich auch von Tierblut ernähren könnten, hat bereits „Interview“ eingeführt – eine faule Ausrede, die ich den Vampiren in meinem Konzept nicht gönne.) Die Kombination von Werwölfen und Vampiren in einem Buch war für mich auf ewig verbrannt, und so ist Twilight nicht nur verantwortlich für No Pflock („Was passiert, wenn der Vampir nicht ein attraktiver Frauenheld ist?“), sondern auch für Menschenwolf in seiner heutigen Form, die sich allein auf klischeefreie Werwölfe auf dem neusten Stand der Wolfsforschung konzentriert. Insofern hat mich dieses Buch sehr geprägt, indem ich versuchte, mich unbedingt davon zu distanzieren. Nicht umsonst ist „Glitzerflauschis“ in No Pflock ein Schimpfwort, auch wenn Ravic herzlich drüber lacht.

Allein für die ganzen interessanten Parodien und Analysen, die auf die Bücher folgten und die mir viele vergnügliche Stunden bereiteten, müsste ich fast dankbar sein. Vor einiger Zeit habe ich sogar einen Beitrag verfasst: Nachsicht lernen für Twilight, in dem ich darüber nachdachte, ob ich in die gleiche Falle gegangen war wie Lindsay Ellis, die Bücher zu hassen, weil sie eine sehr „weibliche“ Fantasie bedienen. Aber gleichzeitig gibt es Aspekte der Geschichte, die nicht mit Nachsicht zu betrachten sind. Beginnend mit Stephenie Meyers gedankenloser, vor Klischees strotzender Darstellung eines real existierenden indigenen Stammes und die Verwandlung seiner Mitglieder in Werwölfe (o nein, ich werde nicht anfangen, auch noch die Folgebände zu lesen, nur um genau begründen zu können, wie sehr ich die Werwolfdarstellung verabscheue). Das hat den Youtuber Dominic Noble dazu bewogen, die Erlöse aus seinen Videos über die Bücher an eben diese Menschen zu spenden. Nein, vor allem ist in jüngeren Jahren in den Fokus gerückt, dass Meyer hier eine Beziehung als romantisch präsentiert, die viele toxische Elemente beinhaltet (Paartherapeut Jonathan Decker analysiert das ganz wunderbar auf seinem Kanal Cinema Therapy, zusammen mit anschaulichen Gegenbeispielen). Auch wenn ich nicht glaube, dass junge Mädchen das eins zu eins schlucken und sich einen Edward suchen, der sie rumkommandiert, ist es eine sehr populäre Fortsetzung von etwas, das Frauen seit Jahrhunderten vorgesetzt wird und das wir verinnerlicht haben. Meine Kollegin, die Textehexe, hat das pointiert zusammengefasst, was mir in der Lektoratsarbeit auch aufgefallen ist. Und wenn ich Kund*innen mal deutlich mache, was sie da schreiben (er drängt sich ihr so lange auf, bis sie doch irgendwie Ja sagt, z.B.), sind die meisten ganz entsetzt: „So hab ich das gar nicht gemeint.“ Aka verinnerlicht.

Und jetzt pusht „Crave“ einen neuen Hype – mit exakt den gleichen Punkten, als habe es die ganze Diskussion und Aufarbeitung nie gegeben. Meine Freundin Kate, die quasi durch Twilight ihre Liebe zum Lesen entdeckt hat und immer noch ein Fan ist, auch wenn sie die Schwächen sieht (und No Pflock mochte), kann nicht verstehen, wie ein Widerkäuen dieser Klischees so eine Begeisterung auslösen kann. Nach dieser Rezension weiß ich, ich muss gar nicht erst anfangen, das Buch zu lesen. Vielleicht ist das eine Trotzreaktion oder wieder der Hauch des „Verbotenen“, die so viele begeisterte Leser*innen generiert. Nach dem Motto: Ihr sagt uns, das ist schlecht und toxisch, also lesen wir es mit umso mehr Vergnügen. Das hat ja ein für mich noch unverständlicheres Massenphänomen, das seine Ursprünge in einer Twilight-Fanfiction hat, ja vorgemacht.

Ja, eigentlich habe ich auf die Wiederauferstehung der Vampys gewartet. No Pflock lief rein verkaufsmäßig nicht so gut (auch wenn ich mich über die Rückmeldungen sehr gefreut hab), dabei könnte ich mittlerweile mit der Ravic- und Liza-Origins und einer Fortsetzung eine Quadrologie draus machen. Mein geheimes Herzensprojekt, das eine noch viel düstere Variante einer Welt voller Blutsauger ist (und im Angesicht der vergangenen zwei Jahre an Glaubwürdigkeit und Realismus gewonnen hat), findet seit Jahren keinen Verlag, weil die in Vampiren kein Verkaufspotential sahen. Ich würde mich sehr freuen, aus ganz egoistischen Gründen, wenn sich das ändert – ich weiß nur nicht, ob „Crave“ das Buch ist, das da die erneute Trendwende bringt. Seit Twilight sind Vampire in der Buchhandlung oft sogar aus dem Fantasy-Regal ausgelagert. No Pflock wurde kurz nach seiner Veröffentlichung von Amazon in alle Kategorien von Dark Fantasy bis Thriller eingeordnet, aber nicht unter „Vampire“ – wegen der fehlenden Romantik? Ein weiterer Twilight-Abklatsch öffnet also nicht unbedingt Tür und Tor für vielfältigere, diversere Blicke auf das alte Monster. Vielleicht sogar eher im Gegenteil, denn am Ende des Tages müssen Verlage immer aufs Geld schauen. Die spannenden Dinge finden eher in Fernsehen und Film statt, von „What we do in the Shadows“ bis „A girl walks home alone at night“ (beide Artikel auf deutsch). Ich möchte niemandem seine Guilty Pleasure wegnehmen, aber ich möchte auch gern mal wieder erleben, dass mich eine Vampiridee so überrascht, fesselt und herausfordert, wie es Rüdiger und Lestat einst taten. Bis dahin muss ich mir die halt selbst schreiben.

Heute habe ich mir einen flauschigen Fledermaus-Onesie gekauft. Einfach, weil man manchmal albern sein muss und weil ich was zum Kuscheln brauchte

 

 

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