Eine Lesung, deren Inhalt die Zuhörerschaft selbst entscheiden durfte. Ein spontanes Vampirmusical, basierend auf meinem geheimen Herzensprojekt. Endlich wieder mit lieben Menschen singen, weinen, lachen. (Und sich trotz des strengsten Hygienekonzepts Corona holen – aber das ist ein anderes Thema.) Kurz: die erste Filk-Continantal seit drei Jahren.
Hopeful Morning
Der ganze Saal singt. Dreistimmig, vierstimmig, Harmonien, immer lauter. Die Vampire versuchen, die Vampirjäger niederzusingen und umgedreht, sie streiten darum, ob der Morgen hoffnungsvoll ist oder hoffnungsleer. Und ich möchte weinen vor Freude. Weil ich zum ersten Mal ein Lied geschrieben habe über eines meiner Bücher und weil es in der Runde so gut ankommt, alle voll einsteigen. Kein Wunder, ich hab als Melodie eines der meist-gecoverten Stücke weltweit gewählt: Halleluja von Leonard Cohen. Deswegen kann ich das auch leider nicht hier hochladen, Urheberrecht und so – außerdem möchte ich euch nichts weiter spoilern von meinem geheimen Vampirprojekt. Ich bin so dankbar für die großartigen (und schauspielerisch begabten) Menschen, die mit mir auf der Bühne stehen und die Szene entwerfen, die verteilten Rollen ausfüllen und das Publikum animieren. Denn natürlich wird ein Lied über die komplexe Trilogie (das längste, was ich je geschrieben habe, mit den meisten Perspektivfiguren) auch ziemlich komplex. Danke, danke, danke!
Liebe und Wertschätzung
Was Filk ist, hab ich ja schonmal zu erklären versucht. Dass ich in dieser bunten, offenen und vertrauensvollen Umgebung meinen Lebenspartner kennengelernt habe, ist eigentlich wenig überraschend. Wir rechnen die Filk-Con immer als unseren Jahrestag, auch wenn wir eigentlich erst eineinhalb Monate später zusammenkamen. Sieben Jahre ist das jetzt her, und weil wir aus naheliegenden Gründen zwei Jahre hintereinander nicht in Wernigerode sein konnten, habe ich diesmal in einem Circle (abendlicher Kreis zum spontanen gemeinsamen Musizieren) mein Ständchen an Gerd nachgeholt. Wer wissen will, was ich romantisch genug finde, um es für einen Mann zu singen: „Du bist die Musik„. Natürlich war ich so aufgeregt, dass ich den Rhythmus am Anfang vermurkst und meine Begleitung durcheinandergebracht habe – aber das ist egal. Das ist das Schöne, gerade für jemanden, die als Kind Musik zum Teil leider von Seite der Lehrenden durch Druck und Perfektionismus verdorben bekam: Bei Filk geht es um Spaß und Wertschätzung, die Kreativität, nicht, ob etwas perfekt gelingt.
Allein dieser Button – die beste Art, um keine unangenehmen Situationen entstehen zu lassen. Wir umarmen uns recht gern in dieser Runde, aber es ist verständlich, wenn Leute damit in Pandemiezeiten noch zurückhaltend sein wollen. Oder man vielleicht an einem Tag einfach nicht gut drauf ist und Abstand braucht – voll okay. Button rumdrehen und die Filker*innen respektieren dein Bedürfnis.
„Wähle dein Abenteuer“
Auf der Filk-Con wird nicht nur gesungen, es gibt auch Workshops zu Harmonielehre, Lieder schreiben, Tanzkurse, Gebärdensprache und was den Teilnehmer*innen noch so einfällt. 2017 habe ich erstmals aus einem meiner Bücher gelesen und erlebt, welche einen Unterschied es macht, wenn meine Vampys auf ein Publikum treffen, das tatsächlich Fantasy mag (im Gegensatz zu der bis zu diesem Zeitpunkt einzigen Lesung in Schwedt, wo es aus purer Freundschaft und Höflichkeit vorbeikam). Seit 2019 habe ich drei neue Geschichten veröffentlicht und ließ abstimmen: Sturmflutnacht, Vergiss „bis dass der Tod euch scheidet“! oder Undercover aus Versehen.
Zu meiner eigenen Überraschung gewannen die Liebesbriefe. Es streichelt das Autorinnen-Ego schon arg, wenn es mir gelingt, die Emotionen so gut rüberzubringen, dass Menschen morgens um halb zehn anfangen zu weinen. Und noch mehr, wenn die Abstimmung für die zweite Hälfte zugunsten meines Herzensprojekts ausgeht, weil das 2019 bei einer geteilten Lesung etwas kurz gekommen war.
Die Lesung von Maja Ilisch hab ich verpasst – zum einen, weil ich es Sonntag nach einem langen Circle wirklich nicht geschafft habe, vor neun aufzustehen und sogar das Frühstück verpasst hab. Zum anderen, weil ich mich noch nicht für „Das gefälschte Land“ spoilern lassen wollte, die Trilogie liegt noch auf meinem SuB (Stapel ungelesener Bücher), sorry. Dafür habe ich es mir Freitagabend bei der Met-Lesung von Ju Honisch richtig gutgehen lassen. Ich liebe ihren trockenen Humor – und den passenden „trockenen“ Met (ja ja, ich weiß, der darf wegen zu viel Restsüße laut EU nicht mehr so gennant werden).
Das Nachspiel
Und jetzt? Jetzt kämpfe ich seit zwei Wochen mit Corona. Das Fieber ist weitgehend weg, der Husten hält sich hartnäckig, ebenso Schwäche, Konzentrationsstörung und seltsame Kopfschmerzen, die überfallartig mal rechts, mal links ein Messer in meine Schläfe rammen. Trotzdem weiß ich, dass dies ein milder Verlauf ist, dank meiner drei Impfungen. Ich hab diesen Beitrag hier über vier Tage in Etappen vorbereitet und bin unzufrieden, finde ihn zu plump und weiß nicht, ob ich das rüberbringe, was ich wollte: Wie sehr ich das Wochenende genossen habe und diese Menschen liebe. Und trotzdem noch nicht sagen kann, ob das die Krankheit wert war – abgesehen davon, dass niemand was dafür kann. Wir sind im öffentlichen Bereich der Jugendherberge und am Büffett als einzige mit Masken rumgerannt (mussten sie aber zum Essen halt doch mal absetzen), haben alle Musiksäle ständig gelüftet und niemand hat morgens sein Zimmer verlassen, ohne sich vorher negativ getestet zu haben.Die Orga war da dankenswerterweise sehr konsequent.
Ich ärgere mich und finde es unfair. Zweieinhalb Jahre waren wir sehr vorsichtig und jetzt, als das Risiko kalkulierbar erschien und wir etwas tun wollten, was uns sehr, sehr am Herzen liegt – erwischt uns der Scheiß. Long Covid ist mein persönlicher Alptraum, schon seit Beginn der Pandemie, und als Frau unter 50 mit durch Depressionen heruntergesetztem Immunsystem und einer hohen Virenlast erfülle ich gleich mehrere Risikofaktoren. Deshalb versuche ich, geduldig zu sein, mir nicht zu früh zu viel zuzumuten, mich auszuruhen und mir keine Horrorszenarien auszumalen. Mein Zeitplan als freischaffende Lektorin ist ohnehin komplett im Eimer. Ich verdiene kein Geld, während ich im Bett liege, aber habe Unterstützung. Zum Glück fühlt sich wenigstens der Freund wieder besser. Tut mir leid, dass ich auf einer so nüchternen Note enden muss. Ich wünsche allen, die auf der FBM oder dem BuCon sind, viel Spaß und Erfolg – aber passt auf euch auf. Wenn ich die Menschenmassen ohne Masken sehe, wird mir schon wieder anders. Ich kuschel mich mal wieder ein.