Na, schon die Messer gewetzt? Pride Month ist zwar gerade vorbei, aber gerade deshalb möchte ich endlich mal einen Rundumschlag wagen zu Themen, die mich schon seit Jahren beschäftigt und zu denen ich immer mehr dazulerne. Und Achtung – das wird ein langer Beitrag und ich empfehle diesmal explizit, auf die Links zu klicken, die ich gesetzt hab.
Repräsentation, Diversität, Own Voice, Sensitivty Reading, Cultural Appropriation – das sind mittlerweile Begriffe geworden, bei denen viele Menschen und gerade Autor*innen richtig an die Decke gehen können. Diskussionen schaukeln sich in den sozialen Medien hoch und am Ende sind die Fronten so verhärtet, dass das eigentliche positive Anliegen mit jeglicher Nuance ausradiert ist. Da wird von Zensur geschrien und Meinungsdiktatur und dass man sich auf keinen Fall in seiner Kreativität einschränken lasse oder auch schlicht das beleidigte: „Ich sehe keine Hautfarbe“ – es ist mir doch egal, ob jemand schwarz oder weiß ist, Mann, Frau oder anderes, ich bin ja tolerant.
Also kann ich als weiße, mitteleuropäische cis-hetero Frau aus dem Mittelstand natürlich alles in meine Bücher packen, was ich will: Entweder das, was ich kenne, denn ich bin auf dem Dorf auch weitgehend mit weißen cis-hetero Menschen aufgewachsen, das ist mein Alltag, das ist „normal“, ich lese es ja auch in tausenden anderen erfolgreichen Büchern. Oder, wenn ich es spannend finde, kann ich mir Inspiration suchen bei anderen Kulturen: der amerikanischen Ureinwohner, aus Asien, von Schwarzen. Wenn alle davon sprechen, dass unterschiedliche Menschen in Büchern dargestellt werden sollen, mache ich meine Protagonist*innen homosexuell, trans, verpasse ihnen eine Behinderung oder psychische Krankheit und verschiedene Hautfarben. Und dann werde ich trotzdem noch angemault? Entscheidet euch mal! [Muss ich es dazuschreiben? Achtung, Überspitzung]
Mein Privileg als weiße cis-hetero Frau
Ich schmeiße gerade vieles zusammen, ich weiß. Aber in meinem Kopf ist das auch alles miteinander verknüpft. Es geht letztlich immer darum, dass die einen mehr Privilegien haben als andere. Ich habe definitiv Vorteile erfahren aufgrund meiner Herkunft, Hautfarbe, Staatsangehörigkeit, finanziellen Möglichkeiten meiner Eltern etc, die mir einen besseren Start im Leben verschafft haben als anderen. Es ist nichts Schlimmes daran, sich das bewusst zu machen. Es heißt nicht, dass ich das nicht verdient habe oder nicht kämpfen musste, weiß Gott. Das ist nämlich der erste wunde Punkt, warum sich Leute von „White Privilege“ beleidigt fühlen. „Ich hab mir alles hart erarbeitet.“ Hab den Buchvertrag bekommen, weil ich gut bin, nicht, weil ich weiß bin. Du willst mir das wegnehmen, behaupten, ich dürfte nicht zurecht stolz sein.
Darum geht es gar nicht. Es geht darum, anzuerkennen, dass es strukturellen Rassismus gibt, Vorurteile gegen Menschen mit Behinderung oder Mitglieder der LGBTQ+ Community. Dass jemand anderes in der gleichen Situation nicht das Top-Angebot bekommen hätte, ein Manuskript als „zu speziell“ abgelehnt wird, oder der Verlag vorschlägt, dass das Liebespaar in der Geschichte doch mal lieber auf hetero umgeschrieben werden soll. DAS ist eine wirkliche Einschränkung kreativer Freiheit.
Ich bin mit den allerbesten Absichten so erzogen worden, dass alle Menschen gleich sind. Keine Hautfarbe zu sehen, ist allerdings ebenfalls ein Privileg, denn wer zu einer marginalisierten Minderheit gehört, bekommt tagtäglich aufs Brot geschmiert, dass er „anders“ ist. Alle Menschen sind gleich, unser Ziel ist, dass wir gar nicht mehr über die Unterschiede von Männern und Frauen reden müssen etc – das kann tatsächlich tolerant gemeint sein (und im schlimmsten Fall verkleideter Rassismus oder Misogynie), aber so macht man diejenigen mundtot, die aus eigener Erfahrung nur zu gut wissen, dass dies oft nur Lippenbekenntnisse sind und es im Alltag ganz anders aussieht. Nicht nur in Amerika. „Es ist rassistisch, zu fragen, ob es in Deutschland noch Rassismus gibt“, hat Tupoka Ogette jüngst gesagt, weil sie es unendlich leid ist, dass alle Medien nach jedem neuen Fall rassistischer Gewalt wieder überrascht tun und mit den Interviewfragen bei Adam und Eva anfangen. Deshalb finde ich die aktuelle Black Lives Matter-Bewegung so wichtig. Und auch da lerne ich täglich. Ich habe auch ein schwarzes Quadrat geteilt am Blackouttuesday – und später wieder gelöscht. Denn die Aktion ist schief gegangen und hat den wichtigsten Teil vergessen: Nicht einfach nur schnell Solidarität zeigen, sondern seinen eigenen Kanal, sein Privileg nutzen, um Own Voice zu teilen, die Geschichten und Erfahrungen der marginalisierten Menschen, die sonst zu oft überhört werden. Einfach mal die Klappe halten und andere berichten lassen, statt sich selbst mit seiner herausposaunten Toleranz zu profilieren. Und da komme ich wieder zurück zum Schreiben.
Betreibe ich Cultural Appropriation?
Das beschäftigt mich schon lange. Ich habe bereits zwei Geschichten über Old Man Coyote geschrieben, eine Trickserfigur aus den nordamerikanischen Mythen, den ich sehr liebe, und dann angefangen, ein größeres Jugendfantasy-Projekt zu planen, das die Wurzeln ebenfalls dort hat. Denn westeuropäisch geprägte Mittelalterfantasy hat mir zwar in meinem Leben viel Freude gebracht, aber wird irgendwann auch mal langweilig. Aber ich hatte immer ein bisschen Bauchweh, weil ich im Gegensatz zu Lieselotte Welskopf-Henrich beispielsweise nie so tief in die Kultur eingestiegen, nach Amerika gereist und unter den Einwohnern gelebt und recherchiert habe. Ich habe viele Bücher gelesen (darunter von Tahca Ushte, Medizinmann der Sioux – es ist übrigens interessant, was der über die angeblich so klare „natürliche“ Einteilung in Mann und Frau sagt), aber ich hatte immer noch dieses Gefühl, dass es nicht genug ist, als dass ich guten Gewissens diese Geschichte werde schreiben können.
Aus dem Gedanken heraus besuchte ich auf der WoldCon in Dublin im vergangenen Jahr nicht nur ein Panel mit meinem liebsten Autor auf der ganzen Welt, sondern auch eine Diskussionsrunde zu dem Thema Cultural Appropriation („kulturelle Aneignung„), ein weiterer dieser Kampfbegriffe, dessen Verwendung und Kritik falsch verstanden und gern als Beispiel rangezogen wird, dass die Linken genauso böse die Meinung unterdrücken wollen wie die Nazis. Moderatorin Wanda Kurtcu machte es am simplen Beispiel Rastazöpfe fest: Viele weiße Frauen „entdeckten“ diese als Modetrend. „Sie haben ein Stück Kultur genommen, ohne Erlaubnis, ohne Respekt zu zollen oder auch nur zu sagen, woher es kommt.“ [Übersetzungen von mir.] Es erscheint harmlos, denn zeigt das nicht, dass sie die schwarze Kultur bewundern und cool finden? Schön wäre es – aber wenn eine schwarze Frau ihre Haare so trägt, hat sie eventuell berufliche und gesellschaftliche Nachteile.
Kurtcu trug übrigens ihrerseits einen Kimono, den sie nach jahrelangem Studium der Japanischen Kultur von ihrem Sensei geschenkt bekommen hatte. Ob dann nicht auch jemand denken könnte, sie eigne sich da eine Kultur an, die nicht die ihre sei, fragte jemand aus dem Publikum. „Wenn er das nur für sich denkt, kann ich es nicht ändern. Er müsste auf mich zukommen und ein Gespräch beginnen.“ Wenn Autor*innen Geschichten aus einem anderen Kulturkreis verfassen, kann dies noch schädlicher werden, erklärte Jeannette Ng: „Wenn eine Kultur nicht akkurat dargestellt ist, kann das Stereotype verstärken.“ Was nicht hieße, dass man in fantastischen Romanen nicht auch Dinge verändern könne und der Fantasie freien Lauf lassen. Aber es gehe immer um Kontext und um noch mehr: um Macht und ums Budget, darum, wer vorn auf den Titel des Buchmagazins kommt und wer nach ganz hinten. Michi Trota erzählte, dass sie so „assimiliert“ aufgewachsen sei, dass sie kaum etwas über ihr philippinisches Erbe wusste. Später begann sie, sich damit zu befassen, und haderte ein ganzes Jahr damit, ob sie sich das traditionelle Tattoo stechen lassen sollte, fragte sich: „Ja, du hast eine Verbindung dazu, aber hast du es auch verdient?“
Bei der anschließenden Diskussion mit den Zuhörenden war es übrigens sehr niedlich, wie Kurtcu die Menschen explizit mit etwas benannte, was sie z.B. trugen, nicht anhand ihrer Hautfarbe oder Haare oder sonstigen körperlichen Merkmalen – nur dem, was sie bewusst entschieden hatten, darzustellen. Ich trug mein #Gnackzuuzler -Shirt und erntete einen großen Lacher, weil Kurtcu es nicht verstand und ich ihr erklärte: „Das ist Bayerisch, das versteht keiner.“ Die „Lady with the Bavarian Hashtag“ fragte also, wie ich diese Gratwanderung hinbekommen soll, auf der einen Seite mehr Diversität jeglicher Art in meine Bücher zu bringen, mir aber andererseits keine Kultur anzueignen oder über Erfahrungen zu schreiben, die ich nie persönlich gemacht und kaum wirklich nachvollziehen kann. „Frag dich selbst: Bin ich die richtige Person, um diese Geschichte zu erzählen?“, antwortete Kurtcu. Und Michi Trota gab mir den Tipp, eher meine Nebenfiguren divers zu gestalten und ihre Kultur gemeinsam mit meiner Hauptfigur zu entdecken, die eher meiner eigenen Lebenswelt entspricht. Dazu Recherche, Recherche, Recherche – und auch Sensitivity Reader, also Menschen aus dem entsprechenden Kulturkreis, des entsprechenden Geschlechts etc, die mir helfen, unbewusst eingeflossene Klischees in meinen Texten aufzustöbern und rauszuschmeißen. Danach können mich Leser*innen immer noch kritisieren – denn dass eine asiatische Frau beispielsweise für alle spräche, ist natürlich Blödsinn und Ng lehnte es explizit ab, als „Schutzschild“ für ihre weißen Freund*innen herzuhalten. Aber ich kann mit mehr Selbstbewusstsein sagen, dass ich mein Bestes getan habe, die Menschen zu repräsentieren.
Sensitivity Reader – eine Chance, den Text besser zu machen
Deshalb habe ich meine Agentin gebeten, das Exposé mit Old Man Coyote erstmal nicht mehr Verlagen anzubieten, bis ich eine Chance hatte, Kontakt zu Indigenen aufzunehmen und noch viel mehr zu lernen. Genau das ist es nämlich: Niemand zensiert mich. Ich habe auch nicht das Gefühl, mich selbst zu zensieren. Ich mache das mit meinem eigenen Gewissen aus und wenn Menschen mich für eine Darstellung kritisieren, muss ich nicht beleidigt oder getroffen reagieren, sondern habe meine Gegenargumente parat. Und wenn nicht, weiß ich, dass ich es beim nächsten Mal noch besser machen kann. Denn es gehört zu meinem Wesen, dass ich gerne recherchiere, auch in einem fiktionalen Text reale Fakten einfließen lasse. Ich habe ursprünglich nicht umsonst den Beruf der Journalistin gewählt. Und ich schränke mich damit nicht ein, im Gegenteil, ich bekomme dadurch noch viel mehr Ideen.
Jetzt mal weg vom Thema Rassismus und ganz konkret zu einem persönlichen aktuellen Beispiel, das die ganze Sache im Kleinen zeigt: Wenn ich einen Krimi an der winterlichen Nordsee ansiedeln möchte, fahre ich im Winter an die Nordsee und schaue mich um, rede mit Leuten – und schreibe aus Sicht einer Zugezogenen. Wenn ich die Sprache nicht verstehe, besorge ich mir einen Experten, der mir um die Ohren haut, wenn ich in meine nordfriesische Geschichte ostfriesische Begriffe eingebaut habe („Wo hast du das nur her?!“). Und weil ich eine monogam lebende hetero Frau bin, frage ich Menschen mit dem entsprechenden Hintergrund, ob ich meine bisexuelle und polyamuröse Hauptfigur überzeugend dargestellt habe. Ja, es steht nicht annähernd im Mittelpunkt der Geschichte und Kaja ist aktuell in einer Beziehung mit Kalle, die heteronormativ wahrgenommen werden kann. Aber ihre Liebste spielt ebenfalls eine Rolle, Vera, in gewisser Weise Sinnbild für Kajas altes Leben als Hausbesetzerin in Frankfurt am Main.
Als Erstes gab mir ein*e Testleser*in den Tipp, auf keinen Fall von Vera als „Meistens-Ex“ zu sprechen – denn auch wenn Kaja sich zu einem Zusammenleben mit Kalle entschieden hat, haben die beiden nie Schluss gemacht. Kaja geht keinesfalls fremd, und um das noch klarer zu machen, schlägt jetzt Kalle selbst vor, dass sie fährt und sich mit Vera trifft, als ihr in Dagebüll das Dach auf den Kopf fällt. Er hat kein Problem mit dieser Art von Beziehung und fühlt sich auch nicht zurückgesetzt. Es waren nur winzige Umformulierungen, Korrekturen, die ich eingearbeitet habe, wie ich Anmerkungen des Lektorats zum Thema Logik einbaue. Und ich bin unendlich dankbar gewesen für diese Hinweise. Denn ich kann zwar beschließen, dass ein Bauwagen im Hauke-Haien-Koog nun als heimlicher Treff der Dorfjugend genutzt wird oder dass ein Café auf dem Dach des Bayerischen Hofes in München nun eine Steinbrüstung hat und keine aus Glas – das tut niemandem weh. Wenn ich allerdings den Anschein erwecke, Kaja betrüge Kalle und zerstöre damit ihre wunderbare Beziehung, die die Leser lieben, weil sie sich nicht entscheiden kann oder mit jede*r ins Bett springt – dann schade ich einer ganzen Bevölkerungsgruppe, statt ihnen eine Identifikationsfigur zu bieten, die mal nicht dem üblichen Männlein-Weiblein-Schema folgt. (Übrigens trägt Kaja Dreads, weil sie sie cool findet – denn sie ist auch nicht perfekt.) Jetzt bin ich gespannt, was der Verlag dazu sagt (das Lektorat ist bereits dran), aber sie haben ja auch das Exposé angenommen.
Diversität in Büchern ist mir wichtig, denn sie ermöglicht Menschen in unserer bunten Welt, sich endlich wiederzufinden (und das nicht nur als Bösewicht), anerkannt zu werden als Teil dieser Gesellschaft. Diversität eröffnet mir als Autorin ganz neue Welten und Möglichkeiten. Aber dazu zählt eben auch die Verantwortung, diese Repräsentation so gut wie möglich zu machen. Die erlege ich mir selbst auf. Und manche Plotbunnies bleiben in der Schublade, wenn es Menschen gibt, die in Own Voice die Geschichte besser erzählen können. Ich habe keinen Einfluss auf irgendwelche Verleger*innen, ich bin nur ein kleines Licht, aber ich hoffe, dass ich, wenn ich je in einer solchen Position sein sollte, mein Privileg nutze, andere zu fördern. Das eine tun, ohne das andere zu unterlassen. So als Memo an mich selbst, wenn ich in ein paar Jahren mal meinen Blog zurücklese.
P.S. Wen es interessiert: Weiterführend zum Thema Repräsentation und Diversität hab ich in der Vergangenheit schon Ergebnisse von Panels auf der WorldCon in Finnland und der Leipziger Buchmesse zusammengefasst.